VII. Zukunftsaussichten

Um die Verwendbarkeit von Märkten als Instrumentarium zur Prognose von Ereignissen auch unter kommerziellen Gesichtspunkten sicherstellen zu können, müssen sicherlich noch genauere Studien bzw. Verbesserungen am Design durchgeführt werden. Nur durch weiterlaufende Feldexperimente, aber auch parallel dazu durchgeführte Realanwendungen können neue Erkenntnisse erzielt werden, um die Resultate zu verbessern und um die Anwendbarkeit einer solchen Technologie auf verschiedenartigste Problemstellungen zu testen.

VII.1. neue Designfeatures

Einige Ansätze für eine Verbesserung der Institution Markt:

a) Shortpositionen
Erweiterung des Marktdesigns um die Möglichkeit short-Verkäufe durchzuführen. Diese können positive Auswirkungen auf die gehandelte Menge, die Umschlagsgeschwindigkeit und die Reaktionsgeschwindigkeit des Marktes bewirken. Freilich ist zu überlegen, in welcher Form garantiert werden kann, daß gehaltene short-Positionen auch kapitalmäßig gedeckt sind (z.B. durch Hinterlegen oder Sperren von entsprechenden Geldbeträgen).

b) Optionen
Der Primär-Sekundärmarktcharakter eines PSMs kann noch um einen Tertiärmarkt erweitert werden. Dort können dann zusätzlich Optionen auf die eigentlichen assets des Sekundärmarktes gehandelt werden. Dabei könnten einerseits Informationen über erwartete Kursveränderungen gewonnen, andererseits aber auch der unerwünschten Bildung sogenannter Price-Bubbles (127) entgegengetreten werden.

c) Verzinsung
Gerade in Märkten mit langer Laufzeit wird das von den Marktteilnehmern investierte Kapital sehr lange einer alternativen Verwendung (128) entzogen. D.h. auch wenn ein Teilnehmer keine direkten Verluste (durch Handel und/oder Payoff) erleidet, so verliert er doch zumindest die (risikolose) Alternativrendite, die eine andere Anlageform geboten hätte. Diese Problematik kann sich gerade bei Märkten mit hohen Investment/Trader negativ auf die Motivation auswirken (Eintrittsbarriere).
Als Lösung bietet sich eine Verzinsung des eingesetzten Kapital an. Dabei muß einerseits die gehaltene Cashposition aber andererseits auch das gerade in Aktien investierte Kapital betrachtet werden. Die Verzinsung des cash gehaltenen Kapitals kann einfach nach den üblichen Verfahren (Bsp. Girokonto) erfolgen. Für die Verzinsung des in Shares gebundenen Kapitals können zwei unterschiedliche Modelle herangezogen werden:

(1) Zuschlag zum Payoff:
Für ein basic portfolio wird dann bei Marktschluß zusätzlich zum Bündelpreis auch noch die Verzinsung vergütet. Bsp.: nach einjähriger Laufzeit eines vote share markets werden als Payoff:
vote share * ursprünglicher Bündelpreis * (1+r)
vergütet. Ferner muß beim Emittieren der basic portfolios auf dem Primärmarkt laufend der Preis, ausgehend vom ursprünglichen Bündelpreis, angepaßt (erhöht) werden.
(2) Abschläge bei der Emittierung am Primärmarkt:
Die basic portfolios werden unter dem späteren Liquidationspreis für komplette Bündel emittiert. Also z.B. um B¨ndelpreis/(1+r) genau ein Jahr vor Marktschluß. Bei der Verwendung von Modell (1) müssen die Marktpreise dann jeweils um die Verzinsung bereinigt werden um Prognosewerte zu erhalten. In Modell (2) kann zumindest unmittelbar vor dem Payoff (Marktschluß) direkt die Prognose abgeleitet werden. In beiden Modellen muß eine laufende Neuberechnung des Emittationspreises für basic portfolios am Primärmarkt erfolgen, die Möglichkeit der Vorverlegung des Marktschlusses (z.B. bedingt durch vorzeitige Neuwahlen) bleibt in beiden Modellen erhalten, es müssen in solchen Fällen aber die Payoffregeln entsprechend adaptiert werden (je früher der Markt schließt um so weniger wird für ein Bündel ausbezahlt).

d) Parallelmärkte
Zu einem Thema/Ereignis können (mehrere) Parallelmärkte ins Leben gerufen werden. Einerseits können auf diesen Märkten verschiedene Arten von Liquidationsregeln (Auszahlungsregeln), aber auch unterschiedliche Kontrakte (in einem Markt werden Aktien für alle wahlwerbenden Parteien gehandelt, in einem zweiten Markt werden Aktien auf Parteigruppen gehandelt) angeboten werden, andererseits könnten verschiedene Märkte für verschiedene Teilnehmergruppen geöffnet werden.

e) Quick Response
Um aktuelle Fragestellungen untersuchen zu können, wäre die Erprobung von kurzfristig angebotenen und nur sehr kurzlebigen Märkten betrachtenswert. Beispiel: Neueinführung eines neuen Produktes (Konsumgut) mit der Frage nach dem erwarteten Marktanteil drei Wochen nach Markteinführung.

f) Verdeckte Märkte
Zwei oder mehrere Märkte zur gleichen Fragestellung werden simultan aber verdeckt nebeneinander geführt. Die an einer Teilnahme interessierten Trader werden den Märkten zugelost. Durch die absolute Trennung (ein Teilnehmer im Markt A kennt die Preis- und Kursentwicklung in Markt B nicht) dürften irrationale Kursentwicklungen nur auf einem Markt (zur selben Zeit) auftreten. Durch den Kursvergleich mehrerer Märkte könnten dann ex ante Aussagen über die Qualität der Prognose ermöglicht werden. Es könnte nach dem Motto: "Wenn man genau wissen möchte wie spät es ist, bringt es mehr, wenn man auf zwei Uhren, als wenn man zweimal auf dieselbe Uhr schaut" mehrere Prognosen miteinander verglichen werden. Auch die Identifizierung von sog. News-Events (129) wäre damit erleichtert.

Obige Überlegungen werden in der Entwicklung weiterer neuer Experimente Berücksichtigung finden. Sollte es möglich sein, in Wien einen permanenten Marktbetrieb einrichten zu können (130), sind Experimente mit short-sale Optionen, verdeckten Märkten aber auch Quick Response Szenarien erste Schritte um neue Konzepte im Experiment zu erproben.

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VII.2. Technische Verbesserungen

Die im Rahmen der APSM Experimente verwendete Software, die an der University of Iowa für den Iowa Electronic Market (IEM) seit ca. 1988 entwickelt wurde und bis heute zum Einsatz kommt, ist eigentlich für den Einsatz in Lokalen Netzen (LAN's) entworfen worden. Der heute gebräuchliche Zugang via Internet wird momentan durch den Einsatz zusätzlicher Hard- und Softwarekomponenten (spezielle Gatewayhardware und kommerzielle Softwareprodukte) realisiert. Der Aufwand (die Kosten) für diese Internetanbindung übersteigt dabei den für den eigentlichen Betrieb des Marktes selbst notwendigen Einsatz beträchtlich.

VII.2.1. Das Internetgateway

Um die Etablierung eines permanenten Marktes in Österreich, bei gleichzeitiger Minimierung der dabei anfallenden Kosten, zu ermöglichen, wurde daher im Frühjahr 1996 an der TU Wien (Abt. IBWL) begonnen, nach neuen Lösungsmöglichkeiten für eine andere Internetintegration zu suchen. Dabei wird der Betrieb des Marktes weiterhin mit der IEM Software weitergeführt, aber nach einer besseren, technisch einfacheren und kostengünstigeren Lösung des Gatewayproblems gesucht.
Nach verschiedenen Versuchen und Tests mit unterschiedlichen Betriebssystemplattformen, konnte schließlich ein Prototyp Gateway Server gebaut werden, bei dem einerseits ein einfacher, handelsüblicher PC (auf Basis Intel Pentium oder höher) zum Einsatz kommt und andererseits ausschließlich frei (kostenlos) verfügbare Software (auf Basis des Linux Betriebssystems) Anwendung findet. Die ersten Tests (unter Laborbedingungen, ohne extreme Last) lassen auf einen kurzfristigen ersten Einsatz eines solchen Gateways hoffen, zumal notwendige Kapazitätserweiterungen durch relativ einfaches Aufrüsten der verwendeten Hardware (mehr Speicher, schnellere CPUs, bis hin zur Verwendung von Multiprozessorarchitekturen) möglich sein sollte. Der Aufwand und die Kosten für ein solches Gateway sind dabei, verglichen mit der momentanen Lösung, nach ersten Schätzungen um mindestens 50% reduziert.

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VII.2.2. Die Marktsoftware

Ein wesentlich weitreichenderer Ansatz für eine Weiterentwicklung des PSM Konzeptes mittels elektronischer Märkte, ist eine - auf Basis der bisher gewonnen Erfahrungen - völlige Neuentwicklung der Marktsoftware. Dabei könnte voll auf die heute bzw. in naher Zukunft verfügbare Technologie (vor allem der Entwicklung globaler Netzwerke) eingegangen werden und eine auf dem neuesten Stand der Soft- und Hardwaretechnologie aufsetzende Lösung gefunden werden (131).
Ein weiterer Aspekt, der speziell bei einem in Zukunft möglichen kommerziellen Einsatz von wachsender Bedeutung ist, ist das Security Problem (wie wird der Markt geschützt, wie die Marktteilnehmer, wie kann Datensicherheit bei der Kommunikation über das Netz gewährleistet werden). Gerade auf diesem Gebiet sind mit der Einführung und Etablierung des Elektronischen Geldes (Ecash) neue Konzepte gerade im Entstehen, die in die Neuentwicklung von Marktsoftware unbedingt integriert werden sollten.

Die "Anforderungsanalyse für einen vollcomputerisierten Aktienmarkt auf Internetbasis", die im Anhang zu finden ist, gibt einen Überblick über die Anforderungen, die aus heutiger Sicht an eine neukonzipierte Marktsoftware zu stellen sind. Weiteres Augenmerk wird dabei aber auch auf eine kostengünstige Realisation, einfache zukünftige Erweiterungsmöglichkeiten sowie eine einfache Portierbarkeit auf neue Hardwaresysteme gelegt. Trotzdem muß man den benötigten Aufwand (Kosten) für die Implementierung der Software (incl. Tests) auf mindestens zwei Mannjahre schätzen.

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VII.3. Kommerzielle Märkte

Kann das Konzept der Prognose mittels Stock Markets so weit verbessert werden, daß verläßlich qualitativ hochwertige Ergebnisse (Prognosen) erreicht werden, so sind die potentiellen Anwendungmöglichkeiten vielfältig.

Auf der einen Seite ist das durch die bisherigen Feldexperimente schon erprobte Gebiet der Vorhersagen von Wahl- oder Abstimmungsergebnissen ein sehr weitläufiges Anwendungsgebiet. Märkte für Wahlgänge auf nationaler Ebene (Nationalratswahlen oder ähnliches) könnten schon sehr bald auch auf öffentlichen Börsen (in Österreich etwa der ÖTOB) eingerichtet werden und könnten auch einen Handel über sehr lange Zeiträume (z.B. eine ganze Legislaturperiode) ermöglichen.
Interessant könnten in Zukunft aber auch überregionale Märkte werden. Gerade die Einführung einer einheitlichen Europawährung würde dann z.B. Prognosemärkte für die Wahlen zum Europaparlament stark vereinfachen und die potentielle Teilnehmerzahl an solchen Märkten extrem vergrößern (7 Mio. Österreicher vs. 300 Mio. Europäer).

Auf der anderen Seite sind vielfältige industrielle und volkswirtschaftliche Anwendungen denkbar. Absatzprognosen in der Petrochemie genauso wie Schätzungen von volkswirtschaftlichen Kennzahlen (etwa Bettenauslastung im Fremdenverkehr oder Arbeitslosenrate). Solche Anwendungen sind bisher noch nicht oder nicht ausreichend getestet worden, und es bedarf noch besonderer Anpassungen sowie einer ausführlichen Erprobung (Feldexperimente), um die Machbarkeit und notwendige Abänderungen des Marktdesigns zu untersuchen. An der TU Wien sind gerade deshalb schon für die nächste Zukunft einige Experimente mit Indizes wie der Arbeitslosenrate in Vorbereitung.

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VII.3.1. Beispiel "Arbeitslosenrate"

Ein mögliches Design für einen solchen Markt könnte in Anlehnung an PSMs so gestaltet werden, daß auf einem Primärmarkt basic portfolios zu einem Preis von 10 GE emittiert werden, die aus zwei Aktien bestehen, "Low" und "High". Diese Aktien werden dann bis zum Marktschluß, das ist der Tag an dem das Arbeitsmarktservice die Daten zur Berechnung der Arbeitslosenrate erhebt (132), auf einem Sekundärmarkt gehandelt. Der Markt wird am Erhebungsstichtag (oder besser noch am Vortag) geschlossen und auf die Bekanntgabe der erhobenen Kennzahl gewartet (üblicherweise rund eine Woche bis 10 Tage nach der Erhebung). Die Auszahlungsregeln für die beiden Aktien sind dann wie folgt definiert:

		"Low" zahlt: Maximum (0, 10 - Arbeitslosenrate in %) GE
		"High" zahlt: Minimum (Arbeitslosenrate in %, 10) GE

Dieser Ansatz zielt wie alle in dieser Arbeit erwähnten PSM Anwendungen auf ein Nullsummenspiel zwischen den Marktteilnehmern ab (der Bündelwert ist in diesem Fall immer mit 10 GE fix festgelegt). Obiges Szenario ist auf eine Rate im Bereich von 0 bis 10 % ausgelegt. Andere Wertebereiche sind durch eine einfache Abänderung in den Auszahlungsregeln modellierbar.

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VII.3.2. Beispiel "Absatz von Superbenzin"

Durch einfache Abänderungen der Payoff Regeln lassen sich selbstverständlich auch andere Wertebereiche (im obigen Beispiel lassen sich ja nur Werte von 0 bis 10 % prognostizieren) betrachten. Würde man etwa an der Frage "Absatzänderung von Superbenzin im Monat X im Vergleich zum Vorjahresmonat" interessiert sein, müßte aber auch berücksichtigt werden, daß möglicherweise Absatzrückgänge eintreten können, d.h. negative Zahlen abgeschätzt werden müssen.

Dies könnte auf unterschiedliche Weise modelliert werden:

  1. Zulassen negativer Preise und Payoffs. Bei einem Bündelpreis von 100 GE, ließen sich die Payoffs mit Low = (100 - Steigerung in %) GE und High = (Steigerung in %) GE beschreiben. Für einen Absatzrückgang von angenommen 5 % würde dann für ein Stück von Low 105 GE ausbezahlt werden, wogegen für ein Stück von High noch 5 GE zu bezahlen (nachzuschießen) wären. Ein Bündel zahlt logischerweise genau 100 GE aus.

  2. Will man negative Preise und Payoffs vermeiden (ausschließen), kann eine einfache Umformulierung der Fragestellung, wobei aber weiterhin auf die gleiche Prognose abgestellt wird, verwendet werden. Die Frage die an den Markt gestellt wird lautet nun: "Wieviel Absatz wird dieses Jahr, gemessen am Vorjahr erreicht?". Ein Absatzrückgang von 5% wäre dann das Erreichen von 95% des Vorjahresniveaus. Die Auszahlungsregeln lauten damit (Bündelpreis weiterhin 100 GE) z.B.:
    		Low = Maximum (0, 200 - Absatzniveau in %)/2 GE	
    		High = Minimum (Absatzniveau in %, 200)/2 GE	
    

    Die Werte wurden hier so gewählt, daß ein Bereich von 0 bis 200 Prozent des Vorjahresergebnisses prognostizierbar ist.

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Gerhard Ortner
Technische Universität Wien
Institut für Betriebswissenschaften, Arbeitswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre
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