VI. Hypothesen und empirische Ergebnisse aus den Austrian Political Stock Market Experimenten

VI.1. Die kritische Marktgröße/zusammensetzung

Aus den bisher in Österreich durchgeführten Experimenten, die sich allesamt mit Prognosen für politische Wahlen/Abstimmungen beschäftigten, zeigt sich ein teilweise widersprüchliches Bild. Während 1994 unter denkbar ungünstigen Bedingungen mit sehr wenigen Marktteilnehmern ein qualitativ überraschend gutes Ergebnis erzielt wurde, ist es 1995 bei verbesserten Bedingungen nicht gelungen, ein ähnliches Resultat zu erreichen.
Es hat sich gezeigt, daß je attraktiver und publikumswirksamer solche Märkte werden, auch die Gefahr von Manipulationsversuchen steigt. Freilich werden nicht-monetäre Manipulationsversuche nur auf die Qualität der Prognose negative Auswirkungen mit sich bringen. Die (monetäre) Attraktivität eines solchen Marktes für die anderen Marktteilnehmer kann dabei aber sogar gesteigert werden, da die potentiellen Renditemöglichkeiten damit ebenfalls wachsen. Da jemand innerhalb des als Nullsummenspiel konzipierten Marktes mehr oder weniger absichtlich Geld verliert, werden andere Marktteilnehmer dieses Geld als Gewinne lukrieren.

Damit ein Markt solchen Versuchen aber wirkungsvoll standhalten kann, müssen daher einige Voraussetzungen erfüllt sein. Eine entsprechend große Anzahl von Marktteilnehmern ist dabei wohl an erster Stelle zu nennen. Erst wenn die Anzahl der Marktteilnehmer groß genug ist, um eine ausreichende Verteilung der Marktmacht auf die Teilnehmer zu gewährleisten, können nicht-monetäre Manipulationsversuche nicht mehr greifen und werden in kürzester Zeit vom Marktmechanismus selbst eliminiert.
Eine Beschränkung des Marktzutritts, etwa durch das Festsetzen von sehr restriktiven Höchstgrenzen für das Investment, können zwar helfen eine atomistische Marktstruktur zu schaffen, doch widersprechen solche Einschränkungen dem Prinzip der self selected traders.

Nach den bisherigen Erfahrungen aus den Märkten für österreichweit relevante Entscheidungen (EU '94, NRW '94 und NRW '95) und bei Beibehaltung einer Investmenthöchstgrenze von ATS 5.000,- pro Teilnehmer, scheint mir bei etwa 200 aktiven Tradern eine Marktgröße erreicht, die genügend Marktaktivität sicherstellt, einen ausreichend liquiden Markt garantiert und außerdem Manipulationsversuche von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ca. 200 Teilnehmer waren auch 1988 im so oft zitierten Experiment der University of Iowa involviert, in dem erstmals ein wirklich ausgezeichnetes Ergebnis erzielt werden konnte. Seither ist die Anzahl der Teilnehmer im IEM kontinuierlich gestiegen und wird in den Märkten für die US-Präsidentschaftswahlen 1996 sicherlich über 5.000 zu liegen kommen.

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VI.2. Manipulationsmöglichkeiten

Die Manipulation eines PSMs ist aus zwei Gründen denkbar:

Nur Marktteilnehmer mit ausreichender Marktmacht werden die Möglichkeit haben manipulativ in das Marktgeschehen eingreifen zu können. Wie erfolgreich solche Versuche sein können, hängt dabei aber auch vom Markt selbst und von den übrigen Teilnehmern ab. Je attraktiver und liquider ein Markt ist und je größer die Anzahl der aktiven Markteilnehmer, umso kapitalaufwändiger und kurzfristiger werden Manipulationsversuche.

Strategien, die gegen solche Manipulationen gerichtet sind, zielen in erster Linie auf die Stärkung der "natürlichen Selbstregulierungskräfte" des jeweiligen Marktes ab.

Die Zulassung von short Verkäufen kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen haben. Versucht jemand die Kurse nach oben zu treiben, so haben die übrigen Marktteilnehmer nun die Möglichkeit, sehr schnell sehr große Mengen von Aktien zum Verkauf auf den Markt zu werfen. Damit werden solche Aktivitäten sehr schnell gestoppt. Umgekehrt kann aber auch viel einfacher versucht werden Aktienkurse nach unten zu drücken. Da es nicht notwendig ist Aktien, die man verkaufen möchte auch zu besitzen, können selbst sehr kleine Trader solche Manipulationsversuche starten.

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VI.3. ausschlaggebende Qualitätskriterien

In Abschnitt V. wurden unterschiedliche Merkmale, die Einfluß auf die Qualität des Prognoseergebnisses eines PSM haben können betrachtet. Die Auswirkungen von vielen dieser Merkmale sind mehr oder weniger stark mit den Auswirkungen anderer Merkmale korreliert. Um die wichtigsten Merkmale, die für die Qualität der Prognose verantwortlich sind, zu identifizieren, bedarf es freilich einer wiederholten Beobachtung und Analyse solcher Märkte.
Da in Österreich erst zwei miteinander vergleichbare Experimente (1994 und 1995/96) durchgeführt werden konnten, sind nur schwer auf Realdaten basierende Aussagen über letztendlich ausschlaggebende Qualitätskriterien machbar. In den USA (University of Iowa) hingegen, wo seit ca. 10 Jahren mit solchen Märkten experimentiert wird, wurde jüngst eine erste Untersuchung (123) auf Basis von 16 in den Jahren 1990 bis 1994 durchgeführten Experimenten abgeschlossen, die drei besonders wichtige Einflußfaktoren identifiziert.

  1. die Anzahl von handelbaren Aktien in einem Markt (= Anzahl der Variablen bzw. Anzahl der Kandidaten, Parteien oder Szenarios)
    Als Korrelationskoeffizient zwischen der Anzahl der Variablen und der Vorhersagegenauigkeit wurde ein Wert von 0.6777 errechnet (124). Dieser Wert ist so zu interpretieren, daß die Vorhersagegenauigkeit steigt, je weniger Aktien (Variable, Kandidaten) in einem Markt vorhanden sind.
    Auf die österreichischen Verhältnisse umgelegt, bedeutet das, daß die Prognose von Wahlentscheidungen, bei denen mehrere (viele) Kandidaten/Parteien miteinander konkurrieren weniger Genauigkeit erwarten lassen kann, als Märkten, die nur auf zwei (wenigen) Kandidaten/Parteien abzielen (Bsp.: US-Präsidentschaftswahlen). Eine mögliche Konsequenz daraus ist die "Zerlegung" der Problemstellung und das Abhalten von Parallelmärkten für solche Entscheidungen (vgl. auch Abschnitt V.2.1.4. und VII.1.).
  2. das Marktvolumen kurz vor der Wahlentscheidung
    Das Marktvolumen der letzten 5 bis 7 Tage vor der Wahl ist eng mit der Qualität der Prognose verbunden (Korrelationskoeffizenten im Bereich von -0.5025 bis -0.4262 (125)). Je größer das Marktvolumen, umso besser die Vorhersage. Durch ein hohes Handelsvolumen werden dabei kurz vor der Wahl die letzten (privaten) Informationen offengelegt.
  3. Differenz der gewichteten bid/ask-Queues unmittelbar vor der Wahl
    Starke Unterschiede zwischen Angebot (asks) und Nachfrage (bids) lassen auf bevorstehende Verschiebungen im Preisniveau schließen und bedeuten, daß der Markt noch keine richtiges Gleichgewicht gefunden hat. Je ausgeglichener Angebot und Nachfrage, umso vorteilhafter für die Prognose (126).

Jedes dieser hier genannten Kriterien ist aber nicht direkt vom Marktmanagement beeinflußbar. Weder kann die Anzahl der Variablen frei gewählt werden (möglichst klein), noch lassen sich das Tradingvolumen oder die gewichteten Bid/Ask-Queues von den Organisatoren eines Marktes direkt beeinflussen. Um die Prognoseergebnisse zu verbessern, können daher nur indirekte Wege beschritten werden, und durch entsprechendes Design der Institution (vgl. Abschnitt V.2.) und durch die Schaffung von Anreizen für die Marktteilnehmer (vgl. Abschnitt V.1) Verbesserungen der Prognosequalität erreicht werden.

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Gerhard Ortner
Technische Universität Wien
Institut für Betriebswissenschaften, Arbeitswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre
Abteilung für Industrielle Betriebswirtschaftslehre
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Last Updated: 1996-08-21