V.1. Die Teilnehmer
V.1.1. Das Prinzip des self selected Traders
Einer der elementaren Aspekte der bei der Betrachtung von Marktteilnehmern zum Tragen kommt, ist die Freiwilligkeit der Marktteilnahme. Nur wer, durch ein geeignetes Anreizsystem motiviert, freiwillig an einem Markt teilnimmt (volunteer, self selected trader), wird in der Regel die für eine erfolgreiche Teilnahme notwendige Informationsverarbeitungsbereitschaft mitbringen.
In Aktienmärkten besteht dieses Anreizsystem großteils aus der Möglichkeit, Renditen zu erwirtschaften, Kontrolle z.B. innerhalb einer Unternehmung ausüben zu können oder Risiken abzusichern (Optionsmärkte) etc..
Probleme mit nicht self selected Tradern traten z.B. im ersten APSM Experiment 1994 auf. Die Teilnehmer wurden damals zum größten Teil aus Studenten des Studienzweiges Betriebsinformatik an der TU Wien im Zuge eines Praktikums rekrutiert. Es stand zur Wahl, entweder am APSM mitzuwirken oder eine Arbeit über die Auswirkungen des EU-Beitritts auf verschiedene Branchen der österreichischen Wirtschaft zu schreiben. Etwa die Hälfte der Studenten entschied sich dabei für die Teilnahme am APSM Experiment. Für einen Teil von ihnen war die Aussicht auf ein Praktikumszeugnis und einen verhältnismäßig geringen monetären Gewinn (74) anscheinend nicht ganz ausreichend, was in geringer Tradingaktivität mancher Teilnehmer resultierte.
Im APSM '95 wurde daher ganz besonders auf die Freiwilligkeit der Teilnahme geachtet. Die Märkte waren für alle Interessierten zugänglich. Insgesamt entschieden sich dann 127 Personen, self selected traders, für eine Teilnahme am Experiment. Davon haben sich aber nur 110 aktiv auf dem Markt für die NRW beteiligt. Die Aktivitäten der einzelnen Teilnehmer lassen sich wie folgt dokumentieren:
Obige Abbildung scheint eine der NRW '94 sehr ähnliche Verteilung wiederzugeben. Es ist jedoch zu bedenken, daß die Laufzeit des Marktes 1995 nur ca. 2 Monate betrug. Verglichen mit 1994 also weniger als die Hälfte der Zeit zur Verfügung stand. Außerdem wurden im Markt für die NRW '95 laufend neue Marktteilnehmer aufgenommen. Somit konnten sich viele der Trader erst wenige Wochen vor Marktschluß aktiv am Geschehen beteiligen. Auch zeichnete sich die Tradergruppe mit über 300 Kontrakten pro Person, durch eine, verglichen mit 1994, noch weitaus größere Marktaktivität aus (4 der Trader schlossen knapp an die 1000 bzw. noch wesentlich mehr Kontrakte ab).
Ein ähnliches Bild zeigt eine Betrachtung der Anzahl von Aktien die pro Markteilnehmer im Markt für die NRW '95 gehandelt wurden.
V.1.2. Die Motivation der Marktteilnehmer
Der wichtigste Motivationsfaktor in Märkten ist der Anreiz mit seinem Wissen, seinen Informationen und Fähigkeiten Renditen (Geld) erwirtschaften zu können. Es wird daher auch in fast allen Experimenten im Rahmen der Experimental Economics ein solches monetäres Anreizsystem geschaffen (77). Die Entlohnung der Versuchspersonen ist dabei von ihrem Verhalten während des Experiments abhängig. So wird erreicht, daß die Teilnehmer den notwendigen Ernst aufbringen und versuchen, sich im Rahmen des entsprechenden Szenarios ökonomisch möglichst optimal zu verhalten (homo oeconomicus) bzw. ihre Strategien daraufhin auszurichten.
Darüber hinaus zeigt sich, daß einige der Marktteilnehmer, tw. zusätzlich durch die Medienberichterstattung angespornt, großen sportlichen Ehrgeiz entwickelt haben. Solche Trader wenden dann besonders viel Zeit für die Beobachtung des Marktes auf und heben sich durch große Marktaktivität von den übrigen Marktteilnehmern ab.
V.1.3. Erfahrung der Marktteilnehmer mit den Rahmenbedingungen der Institution
Erfahrungen mit Aktienmärkten (Procedere, Strategien, "Fachchinesisch" ...) wirken sich natürlich positiv auf das Handelsverhalten der Teilnehmer aus, sind aber nicht von so großer Bedeutung wie man vielleicht annehmen könnte (78).
"... Nevertheless, when included in a regression with volume, number of contract types traded and spread information, the experience level is marginally significant..." (79)
Vorhandene Erfahrungen mit der Institution begünstigen natürlich vor allem den Einstieg in einen Markt, da eine wichtige Markteintrittsbarriere damit nicht zum Tragen kommt. Ferner können durch das Vertrautsein mit dem Procedere natürlich auch Verletzungen von "Marktgesetzen" (80) (z.B. Generieren von Arbitragemöglichkeiten), potentielle Fehler aus einer Fehlbedienung oder fehlerhafter Interpretation von Marktsituationen und Informationen (81) eingeschränkt werden.
Marktteilnehmer die schon einmal in einem Markt aktiv waren, wissen im vorhinein besser darüber Bescheid was sie zu erwarten haben. Eine wiederholte Marktteilnahme läßt auch darauf schließen, daß der Trader bei seinen bisherigen Erfahrungen ein überdurchschnittliches Ergebnis (Rendite) erzielen konnte, was auf gute Informationsquellen und/oder entsprechendes Informationsverarbeitungspotential schließen läßt. Wiederholte Marktteilnahmen werden sich im allgemeinen also eher positiv auf das Funktionieren eines Marktes (Effizienz) und die Qualität der Marktpreise (in PSMs auch der daraus ableitbaren Prognosen) auswirken (82).
Da in Österreich nur 3 Personen sowohl am APSM '94 als auch am APSM '95/96 teilgenommen haben, sind aus diesen beiden Experimenten keine direkten Aussagen über die Auswirkungen von Erfahrungen (aus wiederholter Teilnahme) beim Umgang mit der Institution möglich. Bei einer (anonymen) Befragung der Marktteilnehmer im APSM '95/96 zeigten sich aber rund die Hälfte der Teilnehmer als "am normalen Börsengeschehen interessiert". Ein Wert, der verglichen mit dem Interesse der Gesamtbevölkerung an Finanzmärkten sicherlich (83) nicht repräsentativ ist. Erfahrungen bzw. Interesse für diesbezügliche Themen begünstigen also zumindest die Teilnahme an einem solchen Markt.
In anderen Experimenten (84) konnte ebenfalls beobachtet werden, daß bei einem Teilnehmer vorhandenes Fachwissen nicht notwendigerweise zu einem überdurchschnittlichen Abschneiden des Teilnehmers führt. Erfahrungen und Praxis beim Umgang mit einer konkreten Institution bringen aber zumindest Vorteile beim Handling mit sich.
V.1.4. Repräsentativität der Markteilnehmer (PSMs)
Die Teilnehmer an Märkten werden nicht selektiert. Das würde auch dem Prinzip der self selected traders zuwiderlaufen. Daher kann eine Repräsentativität, nach welchem Kriterium auch immer, natürlich nicht vorausgesetzt werden. Auch wäre es schwierig, die Kriterien für eine solche Repräsentativität festzulegen.
Gerade auf dem Gebiet der PSMs hat man sich intensiv mit der Zusammensetzung der Marktteilnehmer auseinandergesetzt (85). Ein großer Nachteil von Meinungsumfragen gegenüber PSMs ist die aufwendige Auswahl eines repräsentativen Samples für solche Umfragen und die ordnungsgemäße Durchführung (Auffinden, Befragen und wenn Befragungsbereitschaft nicht vorliegt, ermitteln eines Ersatzes). Die Zusammensetzung des Teilnehmerfeldes eines PSMs muß - und kann auch - diesen strengen Kriterien nicht folgen. Dies wird durch die Ergebnisse der Experimente deutlich untermauert.
Ein Beispiel (86): Im IPSM '88 waren insgesamt 190 Trader aktiv. Der größte Teil davon Studenten. Obwohl ein deutlicher Überhang der weißen männlichen Teilnehmer mit guter Ausbildung und aus gehobenen Einkommenschichten zu verzeichnen war, konnte ein außerordentlich gutes Ergebnis erzielt werden. Die Abweichungen der Schlußkurse zum realen Wahlausgang lagen nur im Zehntelprozent-Bereich.
Anstelle des Konzeptes der Repräsentativität als qualitätsbeeinflussender Faktor, tritt hier eine - nicht bestimmbare - Mindestanzahl an Marktteilnehmern und noch wichtiger die Organisation der Kommunikation der Marktteilnehmer.
Natürlich ist gerade bei sehr kleinen Märkten zu beachten, daß sehr starke Ungleichgewichte zwischen dem Teilnehmerkreis und der Grundgesamtheit der Wahlberechtigten, die Qualität des Ergebnisses beeinträchtigen. Wie das Beispiel des Marktes für die EU-Abstimmung in Österreich (Teil des APSM '94 Experiments) zeigt, können sehr große Unausgewogenheiten in relativ kleinen Märkten zu einer Verringerung der Qualität der Ergebnisse führen.
Im Markt für die EU-Abstimmung (87) waren nur 37 Studenten und Studentinnen, alle Wirtschafts- und Betriebsinformatiker an der TU Wien, alle im 2. Studienabschnitt, alle aus der gleichen Altersgruppe, aktiv. Dabei unterstützten bei einer anonymen Befragung zu Beginn des Experiments 83% einen EU-Beitritt. Die Frage "Welche Partei würden Sie wählen wenn heute Nationalratswahlen stattfinden würden?" wurde in der Befragung wie folgt beantwortet: SPÖ: 14% ÖVP: 31% FPÖ: 0% Grüne: 24% LF: 31%. Zusätzlich stammte ein überproportionaler Anteil der Teilnehmer (fast natürlicherweise) aus Wien und es waren außergewöhnlich viele Südtiroler am Experiment beteiligt (fast 20%).
Die Teilnehmer bildeten somit einerseits eine extrem homogene Gruppe (88), die darüberhinausgehend in ihrer politischen Einstellung und nach fast allen demographischen Gesichtspunkten (89) sicherlich keinesfalls als repräsentativ anzusehen war. Dieses offensichtlich große Ungleichgewicht zwischen den Marktteilnehmern und den realen demographischen, sozialen und politischen Verhältnissen wirkte sich auf die Qualität des Ergebnisses negativ aus. Zwar deuteten die Kurse während des gesamten Experiments (der Markt war ca. 2 Monate geöffnet) immer recht eindeutig auf einen positiven Ausgang der Abstimmung hin - die Kurse für JA lagen zwischen ca. 52% und 60% - waren aber von dem 66.6% JA-Ergebnis der Abstimmung weiter entfernt, als das die geringen Abweichungen beim IPSM vermuten ließen.
Eine kurze Analyse dieses Experiments führt zu der Vermutung, daß durch die große Homogenität der Gruppe (die Marktteilnehmer hatten als Studienkollegen natürlich auch viele soziale Kontakte innerhalb der Gruppe) die Perzeption von Informationen gestört bzw. gehemmt wurde. Die Diffusion neuer Informationen erfolgte wahrscheinlich zu einem größeren Teil durch die sozialen Kontakte innerhalb der Gruppe als über den Markt, respektive den Preisbildungsprozeß. Außerdem scheint es so, als ob die Marktteilnehmer bei der Informationssuche und Verarbeitung zu stark auf ihre eigene demographische Schichtung fixiert waren. Vergleicht man nämlich das Wahlverhalten der unter 30-jährigen Bevölkerung, mit der APSM Vorhersage, so ergibt sich eine wesentlich stärkere Übereinstimmung (90).
Wollte man ein zur Repräsentanz von Umfragen analoges Konzept entwickeln, wären folgende Ansätze zu überdenken:
a) Requirierung von self selected tradern so, daß sie, gemessen an bestimmten Merkmalen, proportional zur Grundgesamtheit (Wahlberechtigte) stehen. Es stellt sich hier freilich die Frage, welche Merkmale dazu herangezogen werden sollen (Alter, geographische Verteilung, Einkommen, Beruf, ....). Außerdem dürfte es schwierig sein, ganz gezielt (punktgenau) unterrepräsentierte Gruppen anzusprechen, zu motivieren und als self selected traders zu gewinnen.
b) Ausstattung der self selected traders mit Marktmacht (Kapital) proportional zur Schichtung. D.h. zahlenmäßig unterrepräsentierte Gruppen werden größere Investments (maximal investierbares Kapital) zugestanden. Auch hier stellt sich die Frage nach den Kriterien für die Schichtung. Ferner muß das Kapital eigentlich von den Tradern aufgebracht werden, was nur auf freiwilliger Basis erfolgen kann. Das könnte aber mit Hilfe von zinslosen Krediten an die Trader forciert werden. (91)
In beiden Fällen ist aber zu beachten, daß der unbedingten Freiwilligkeit der Marktteilnahme (self selected trader) absolute Priorität einzuräumen ist und nur versucht wird, dort zusätzliche Anstrengungen (Propaganda) zu unternehmen, wo - schichtspezifisch - zu wenige Marktteilnehmer vermutet werden. Ein Tradeoff zwischen Anzahl und Marktmacht kann auch nur dann als Ausgleich dienen, wenn die Trader aus rein monetären Interessen handeln. Was schwer (wahrscheinlich gar nicht) im vorhinein feststellbar ist.
Krampfhafte Versuche, Repräsentanz bei der Zusammensetzung der Marktteilnehmer herzustellen, halte ich aber für nicht zielführend. Die Probleme bei der Identifizierung der Schichtkriterien, die damit verbundene Gefahr von ungewollten Verzerrungen (auch Manipulationsgefahr), sowie der Aufwand für die gezielte Aquirierung neuer, für die Erreichung von Repräsentanz erforderlicher Trader, lassen einen solchen Ansatz nur schwer realisierbar erscheinen.
Gerade das Nichtvorhandensein von Repräsentativität bei den Teilnehmern (und das Wissen aller darum) stellt meiner Meinung nach, einen der größten Vorteile des Marktkonzeptes gegenüber dem Konzept der Repräsentativen Umfrage dar. PSMs stellen statt auf Repräsentanz auf die monetäre Motivation und die damit gegebenen Anreize für die Marktteilnehmer, selbst auf die Suche nach neuen Informationspartikelchen zu gehen, ab. Damit werden die Marktteilnehmer dazu gebracht, ein sehr großes Feld nach Informationen abzusuchen und diese auch noch mit ihrer eigenen Informationsverarbeitungskapazität teilweise vorzuverarbeiten.
In vielen Experimenten konnte unter den Teilnehmern eine Gruppe identifiziert werden, die sich durch eine überdurchschnittliche Aktivität auf den jeweiligen Märkten auszeichnete. Diese Trader zeichneten sich dadurch aus, daß sie den Markt genau beobachteten, eine überdurchschnittliche Anzahl von Orders plazierten und schon kleine Kursschwankungen für Transaktionen ausnutzten. Sie folgten demnach der "Trading-Strategie", d.h. sie versuchten, nicht nur mit dem Payoff bei Marktschluß zu spekulieren, sondern schon vorher durch intensives Handeln Handelsgewinne (gain from trading) zu lukrieren. (92) Ihre Kauf- und Verkaufsorders plazierten sie zu diesem Zweck sehr nahe an den jeweils aktuellen Marktpreisen (agieren als market maker anstatt als price taker (93)). In Anlehnung an Forsythe (94) werden diese Trader daher auch Marginal Traders genannt.
Marginal Traders spielen eine wichtige Rolle für Märkte. Da sie schon bei geringen Angebots- und Nachfrageschwankungen reagieren, sind sie maßgeblich an der Kursbildung und am Zustandekommen größerer Umsatzvolumina beteiligt. Durch ihre sehr aktive Rolle gehören sie auch überdurchschnittlich häufig zu den - an der Gesamtrendite gemessenen - erfolgreichen Tradern.
Märkte in denen viele Marginal Tradern aktiv sind profitieren durch:
V.1.6. Anzahl der Marktteilnehmer und deren Marktmacht
Die Anzahl der Marktteilnehmer kann natürlich auch als Kriterium für die Prognosequalität in Betracht gezogen werden. Durch mehr Teilnehmer können mehr verteilt auftretende Informationsquellen erreicht und durch den Marktprozeß integriert (bewertet und aggregiert) werden. Der Informationsaustausch muß dabei aber durch den Handel, also über den Preisbildungsprozeß, erfolgen und nicht durch soziale Interaktion zwischen den Marktteilnehmern.
Ferner steigert eine größere Teilnehmerzahl natürlich die Marktaktivität und Liquidität eines Marktes. Wurden z.B. im APSM '94 in ca. 6 Monaten von rund 45 Tradern (96) ca. 3000 Aktien im NRW-Markt gehandelt, wechselten im APSM '95 bei ca. 110 Trader (97) an manchen Tagen wesentlich mehr Aktien den Besitzer.
Ein weiterer Gesichtspunkt bei der Betrachtung der Marktteilnehmer ist die Marktmacht der einzelnen Teilnehmer. Als Maßstab für diese Größe kann das finanzielle Engagement der Teilnehmer herangezogen werden. Kommt es in sehr kleinen (engen) Märkten zu sehr krassen Größenunterschieden zwischen den Teilnehmern - ein oder wenige Große dominieren über mehrere Kleine - besteht natürlich die Gefahr von Verzerrungen (98) bzw. Manipulationen.
Das Problem der Manipulationsmöglichkeit verliert natürlich mit steigender Teilnehmerzahl zunehmend an Bedeutung. Stehen einem einzelnen Marktteilnehmer nur genügend viele andere gegenüber (Polypol) werden Manipulationsversuche sehr schnell vom Markt erkannt und von den übrigen Teilnehmern ausgenutzt (99). Der Markt kehrt dann nach kurzen Schwankungen wieder ins Gleichgewicht zurück.
Ein Beispiel: Im Markt für die Nationalratswahlen '95 (Teil des Austrian Political Stock Market Experiment '95) kam es Mitte November 1995 zu einem außergewöhnlichem Kurssprung der Aktie "Andere", ausgelöst durch eine Ankaufsorder die ca. 50% über dem bis dahin üblichen Marktpreisen lag. Einer der Marktteilnehmer versuchte offenbar eine (für die damaligen Verhältnisse) riesige Menge an Aktien "Andere" aufzukaufen. Sofort (100) reagierte der Markt, und viele Marktteilnehmer begannen mit dem Verkauf dieser Aktien. Nachdem in den folgenden zwei Tagen reger Handel getrieben worden war (fast jeder versuchte den hohen Preis für Verkäufe zu nutzen), pendelte sich der Handel wieder auf einem deutlich tieferen Preisniveau ein. Zu diesem Zeitpunkt waren rund 50 Marktteilnehmer aktiv, wobei die Menge des investierten Kapitals pro Teilnehmer zwischen 100,- ATS und 5.000,- ATS mit einem Mittel von rund 1.000,- lag. Großinvestorenen hatten also in diesem Stadium noch eine relativ große Marktmacht (101).
Eine längerfristige Preisverzerrung wurde einige Wochen später von einer Gruppe von "Großinvestoren" verursacht (vgl. Abschnitt III.7.2.5). Durch die Marktmacht diese Gruppe (ca. 15% des gesamten Kapitals wurde von nur 2.5% der Teilnehmer kontrolliert) und deren Beharrlichkeit, konnte auch das sofort einsetzende Gegensteuern der übrigen Marktteilnehmer in den nur mehr wenige Tage laufenden Markt, kein neuerliches Einschwingen auf eine stabiles neues Marktgleichgewicht mehr bewirken. Die Großinvestoren hatten offensichtlich einen nichtmonetären Anreiz, den Kurs einer Partei zu steigern, da zu dieser Zeit (kurz vor der Wahl) über die Kursverläufe bereits regelmäßig in den Printmedien und im TV berichtet wurde (102).
Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, daß ein genügend großes Teilnehmerfeld sicherlich dazu beitragen kann, die Problematik von Marktverzerrungen zu entschärfen. Ein direkter Einfluß auf die Qualität der Preise ist aber nicht unbedingt nachweisbar (103). Viele Marktteilnehmer fördern aber andererseits mit Sicherheit die Marktaktivität, die Liquidität des Marktes, die Verarbeitungsgeschwindigkeit und die Attraktivität eines Marktes.
An einem PSM können die Teilnehmer im extremsten Fall zwei komplett gegensätzliche Strategien verfolgen um ihre Profite zu maximieren. Zum einen können die Teilnehmer am Handel profitieren. Sie nutzen dabei schon die kleinsten Kursschwankungen und agieren in vielerlei Hinsicht als marginal traders. Die Philosophie "buy low - sell high" führt dabei zwar nur zu relativ kleinen aber laufenden Gewinnen, die bei entsprechendem Engagement kontinuierlich realisiert werden. Auch können kleine Arbitragemöglichkeiten bei genügend Aktivität des Traders ausgenutzt werden und so zusätzliche Profite realisiert werden. Trader, die eine solche Handelsstrategie verfolgen, profitieren einerseits von sehr liquiden Märkten (Handelsvolumen und -aktivität sehr hoch), andererseits sinken mit steigender Markteffizienz auch die Möglichkeiten solche Gewinne und/oder Arbitragen zu lukrieren. Auf Märkten mit vielen solchen Teilnehmern stellen sich dabei auch sehr große Umsätze und ein besonders kleiner bid-ask spread ein.
Die zweite - entgegengesetzte - Strategie setzt auf die potentiell überlegene Prognosekraft eines Teilnehmers. Aktien die, nach der Einschätzung des Traders, verglichen mit dem individuellen Erwartungswert des Payoffs nach der Wahl, unterbewertet sind, werden gekauft und bis zum Payoff gehalten. Andere, überbewertete Aktien, werden verkauft.
Im NRW '95 Markt konnte beobachtet werden, wie einige Tage (ca. 1 Woche) vor Marktschluß offenbar ein Strategiewechsel (Paradigmenwechsel) bei vielen Tradern stattfand. Ein schon sehr klein gewordener bid-ask spread vergrößerte sich dabei in der letzten Woche vor der Wahl wieder deutlich, obwohl die Handelsaktivität weiter sehr groß blieb. Das deutet darauf hin, daß von vielen Marktteilnehmern zuerst eine Handelsstrategie zur Anwendung kam, und erst kurz vor Marktschluß - und dem damit unmittelbar bevorstehenden Payoff - auf eine "Halte"-Strategie übergewechselt wurde. Dabei fließen in verstärktem Ausmaß die eigenen Erwartungshaltungen in den Handelsprozeß ein und drängen die sehr marktpreisorientierten Orders (104) zunehmend zurück.
Ist ein solches Verhalten zu beobachten, heißt das aber auch, daß erst die Preisentwicklung kurz vor Marktschluß das wirklich komplette Informationsspektrum, daß den Marktteilnehmern zur Verfügung steht, integriert und widerspiegelt. Erst hier legen alle Teilnehmer - durch den Preisbildungsprozeß - alle ihre individuell angesammelten und verarbeiteten Informationen offen.
Allerdings ist vor dem Hintergrund des schon geschilderten Manipulationsversuches noch eine andere Deutung möglich. Durch die Konzentration des Handels auf die manipulierte Aktie und einige technische Einschränkungen (keine short Verkäufe möglich, limitiertes Kapital, Primär- Sekundärmarktszenario) wurde auch das Angebot und die Nachfrage nach nicht manipulierten Aktien verzerrt. Alle Energie wurde auf das Ausnutzen der relativ "sicheren" Profite aus der Manipulation gerichtet.
Erst weitere Marktexperimente können daher endgültige Beweise für oder gegen das Auftreten solcher Strategiewechsel unmittelbar vor Marktschluß liefern. Es erscheint aber zumindest nicht unlogisch, daß sich die Marktteilnehmer kurz vor Marktschluß auf mögliche (individuell erwartete) Profite aus dem Payoff konzentrieren und Handelsgewinnen weniger Beachtung schenken (105).
V.2. Der Markt
V.2.1. Das Design der Institution
Das Design der Rahmenbedingungen, unter denen ein Markt abläuft, bestimmt nicht nur den Charakter des Marktes (z.B. wie kommt es zur eigentlichen Kursbildung, welche Aktivitäten stehen den Händlern offen), sondern hat darüber hinaus auch Einfluß auf das Marktgeschehen.
Ein Aspekt bei der Betrachtung unterschiedlicher Märkte ist die Art und Weise wie der Zugang zu den Märkten geregelt wird.
Diese Regelmentierungen des Marktzuganges können sich unterschiedlich auf den Ablauf eines Marktes und das von den einzelnen Akteuren an den Tag gelegten Verhalten auswirken.
Sehr offen gestaltete Märkte mit einer großen Anzahl von Marktteilnehmern können sich durch große Marktliquidität und Marktaktivität auszeichnen, unterliegen aber natürlich andererseits vielleicht der Problematik einer, durch häufigen Wechsel der Marktteilnehmer bedingten, größeren Anzahl von noise tradern. Hohes technisches Niveau ermöglicht bequemen Marktzugang für schon etablierte Teilnehmer, der erste Einstieg in solche Märkte wird aber erschwert. Lange Marktöffnungszeiten erleichtern/flexibilisieren den Marktzugang, gleichzeitig verteilt sich die Marktaktivität bei gegebener Teilnehmerzahl aber über die Öffnungszeit (Aktivitätsniveau in der Kernzeit fällt).
In den APSM Experimenten wurde wie am IEM eine möglichst offene Gestaltung des Marktzugangs angestrebt. War der Zugang 1994 noch auf Universitätsmitglieder beschränkt und der Handel nur von Montagmorgen bis Freitagnachmittag möglich, wurde in den APSM '95 Märkten auf eine Marktausdehnung auf ganz Österreich und auf eine maximale Öffnungszeit (=keine Schließzeiten) Wert gelegt. Die einzige Eintrittsbarriere stellte die, durch die verwendete Technologie eines vollcomputerisierten Marktes gegebene, Grundvoraussetzung eines Internetzugangs der Marktteilnehmer dar.
Der Marktzugang ist nur durch die individuell verfügbare Zeit des Händlers als knappe Ressource beschränkt. Es sind keine Ganztagestrader, die den Markt den gesamten Tag über beobachten aktiv, sondern anderwärtig berufstätig/beschäftigte Freizeittrader.
Einfache Marktzugänge, technisch entsprechend unterstützt, können somit die Motivation der Teilnehmer, das Aktivitätsniveau und damit auch die Qualität des Marktes positiv beeinflussen. Je leichter (schneller) dieser Zugang ist, je weniger bürokratische Hürden und Wartezeiten zu erdulden sind, desto größer wird die Bereitschaft und Möglichkeit, einem plötzlichen Impuls nachzugehen bzw. rasch zu reagieren.
Bei der Wahl der Marktform bzw. des Regelwerkes nach dem Transaktionen zustande kommen, stehen die unterschiedlichsten Modelle zur Diskussion. In vielen Fällen ergibt sich eine Marktform schon aus der Problemstellung fast von selbst. Für bestimmte Fragestellungen haben sich bestimmte historische Marktformen herausgebildet, die sich anscheinend ganz besonders für die jeweilige Situation eigenen. Etwa Double Oral Auctions für einfache Wertpapiergeschäfte(börsen), die Dutch Auction im Blumenhandel, die Bid Auction bei Kunstauktionen (106) oder das Posted Pricing Model im Einzelhandel.
Neben der eigentlichen Problemstellung (welche Aufgabe hat der Markt eigentlich?) spielen bei der Wahl der Marktform noch weitere Gesichtspunkte eine teilweise entscheidende Rolle:
Die Fülle der Marktformen und die feinen Nuancierungen sind mittlerweile schier unüberblickbar. In letzter Zeit werden immer öfter auch experimentelle Methoden beim Design neuer Marktformen (107) für spezifische Probleme (z.B. Handel mit pollution permits (108), Märkte für die optimale Lösung von Verteilungsproblemen (109)) angewandt, um schon vorab die Eignung des jeweiligen Modells zu testen, Probleme frühzeitig erkennen und vermeiden zu können und neuartige Ansätze zu studieren.
Im Bereich der PSMs (für Prognosezwecke eingesetzte Märkte) hat sich mit der zunehmenden Möglichkeit der Automatisierung des Marktmanagements das Konzept des Continous Double Auction Markets (CDAM) etabliert.
Da die Teilnehmer in solchen Märkten abwechselnd (bzw. auch simultan) die Rolle von Anbietern und Nachfragern (sprich Tradern) übernehmen, bietet sich eine Marktform, in der beide Seiten jederzeit eine aktive Rolle einnehmen können (110), an. Überdies begünstigt das recht einfache Regelwerk solcher Märkte den Neueinstieg von Händlern. Die Möglichkeit eines kontinuierlich fortlaufenden Handels (absoluter Fließhandel (111)) generiert laufend neue Preisinformationen und fördert die Motivation der Teilnehmer.
Will man Märkte miteinander vergleichen, muß auch die Art der gehandelten Güter betrachtet werden. An Märkte für Konsum-, Verbrauchs- und Luxusgüter, Aktien, Wertpapiere, Derivate, etc. werden naturgemäß verschiedene Anforderungen gestellt. Solche Märkte werden sich nicht nur in der gewählten (bzw. sich einstellenden) Marktform, in der Anzahl von Marktteilnehmern bzw. deren Struktur, Tradingstrategien und Renditen- bzw. Nutzenerwartungen unterscheiden, sondern auch in der Art des Preisbildungsprozesses.
Während in Ge- und Verbrauchsgütermärkten die Befriedigung individuellen Nutzens des einzelnen Marktteilnehmers zum Handel animiert, ist in Aktienmärkten das Streben nach Renditen treibende Kraft.
Betrachtet man einen einfachen Aktien- oder auch Optionsmarkt wie z.B. einen PSM, wird man auch auf die teilweise stark unterschiedlichen potentiellen Renditechancen der verschiedenen stocks aufmerksam. In einem solchen Markt kommt es bei Kursänderungen von auf sehr hohem und sehr tiefem Preisniveau notierenden Aktien zu extrem unterschiedlichen Änderungen der Rendite. Ein Beispiel: Notierten im APSM für die NRW '95 die SPÖ shares bei 3.0 ATS die shares für "Andere" aber bei 0.19 ATS, so ergibt ein Kursanstieg von nur 0.1 ATS eine Rendite von 3.3% bzw. 52,6%. Sehr nieder notierende Werte eignen sich in einem PSM daher ganz besonders als Spekulationsobjekte.
Existiert auf einem Markt schon von vornherein ein stark unterschiedliches Preisniveau der einzelnen Werte (assets), so neigen die "billigen" Werte naturgemäß leichter dazu, Spekulationsobjekte zu werden. Je ausgeglichener ein Markt sich darstellt, umso geringer ist die Gefahr, daß bei einzelnen Werten besondere Spekulationsanreize entstehen.
Vergleicht man in den Märkten für die NRW 1994 und 1995 die sog. "großen" Werte (SPÖ, ÖVP und FPÖ) mit den sog. "kleinen" Werten (Grüne, Liberale und Andere) anhand der relativen Prognosefehler (112), erhält man durchschnittliche relative Fehler von 4.5 und 25.8 % für 1994 bzw. 14.6 und 26.2% für 1995. Klar ersichtlich ist in beiden Fällen, daß das Fehlerpotential bei den "kleinen" assets wesentlich größer war als bei Werten auf hohem Preisniveau.
Hier scheinen also Märkte mit wenigen und relativ gleichwertigen assets wie z.B. die letzten US-Präsidentschaftswahlen qualitativ bessere Ergebnisse liefern zu können. Interessant wäre es also, in zukünftigen Experimenten für ein Ereignis mehrere simultane Märkte mit unterschiedlichen asset-Kombinationen (z.B. Blockbildungen von Parteien wie SPÖ + Grüne + LF vs. ÖVP + FPÖ) und die sich dabei einstellenden Unterschiede zu analysieren.
Wie jüngst Analysen und Vergleiche verschiedener Märkte aus den USA recht deutlich bestätigt haben (113), ist die Anzahl der von einem Markt abzuschätzenden (zu prognostizierenden) Variablen eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale von Märkten.
Stehen nur wenige Variable zu Diskussion, so können die Trader diese Situation scheinbar besser antizipieren. Auch können Stimmungsverschiebungen (etwa von einem politischen Lager in ein anders, wenn in einer TV-Diskussion neues Informationsmaterial aufgeworfen wird) leichter zugeordnet werden, wenn etwa - wie im US-Präsidentschaftswahlkampf üblich - nur 2 Kandidaten (respektive auch Parteien) und somit eigentlich nur eine unabhängige Variable zu betrachten ist (114). Mit der Anzahl der unabhängigen Variablen steigt dann die Anzahl potentieller Fehlerquellen. Immer mehr Interdependenzen müssen berücksichtigt werden und eine immer größere Anzahl von Einflußfaktoren muß beachtet werden.
Insofern wären Persönlichkeitswahlen wie etwa österreichische Präsidentschaftswahlen die Szenarien mit den besten Aussichten für sehr gute Prognoseergebnisse durch einen PSM.
Mit der Anzahl der Variablen erhöht sich auch die Möglichkeit, sog. indirekte Arbitragen realisieren zu können. Statt Shares einer Variablen zum Verkaufskurs zu erwerben, kann es preislich günstiger erscheinen, komplette Aktienpakete zu erwerben, diese zu zerlegen und alle bis auf die/den gewünschten Anteil/e sofort wieder zum jeweiligen Ankaufspreis zu veräußern. Durch eine solche Vorgangsweise wird nicht der Kurs der bevorzugten Aktie angehoben (durch eine verstärkte Nachfrage), sondern der Kurs der übrigen Aktien reduziert (durch das Befriedigen der Nachfrage durch Verkäufe). Dies führt zu einer Verschleierung der eigentlichen Intention - nämlichen den möglichst kostengünstigen Erwerb bestimmter Aktien -, stellt aber aus Sicht des so handelnden Marktteilnehmers eine absolut rational ökonomische Vorgangsweise dar. Eine analoge Strategie kann bei Aktienverkäufen angewandt werden, mit den gleichen Folgen für die Transparenz der Marktpreise.
Ein solches Verhalten könnte nur durch eine Entkopplung von Primär- und Sekundärmarkt unterbunden werden. Damit wäre aber die laufende Emittierung neuer Aktienbündel gestoppt und die Anzahl der in Umlauf befindlichen Aktien wäre damit konstant. Das könnte wiederum zur Problematik der Hortung von Aktien und Schwierigkeiten bei der Abwehr von Manipulationsversuchen führen.
Ein Ausweg bei der Prognose von Ereignissen mit mehreren (vielen) Variablen kann in der "Zerteilung" des Problems gesehen werden. Dabei könnten für ein reales Ereignis simultan mehrere Märkte mit nur einer unabhängigen Variablen organisiert werden (z.B. mit der Fragestellung "In welchem Verhältnis verteilen sich die Stimmen, die die Parteien X und Y zusammen erhalten?") (115).
Es ist einleuchtend, daß die Attraktivität eines Marktes bzw. des durch den Markt abgebildeten Szenarios zumindest indirekt Einfluß auf die Motivation der Teilnehmer, die Menge von zur Verfügung stehenden Informationen, die Erschließbarkeit von Informationsquellen, die Anzahl der Trader, das eingesetzte Kapital und damit letztendlich auch auf die Marktaktivität und die Qualität der Informationsaggregation hat.
Die Attraktivität von PSMs sinkt, ausgehend von der hohen awareness bei bundesweiten Nationalrats- oder Präsidentenwahlen, mit dem event level (vgl. Abschnitt V.2.2.4.) zusehens ab. Regionale Wahlen wie Landtagswahlen sind schon nur mehr für einen viel kleineren Kreis von potentiellen Tradern interessant. Die Anzahl der Informationsquellen, wie z.B. die Medienberichterstattung, sinkt drastisch und ist regional begrenzt.
Wie sich auch im APSM '95 am Beispiel der steirischen Landtagswahlen 1995 gezeigt hat, geht die Attraktivität eines lokalen Marktes noch weiter zurück, wenn er mit einem anderen Ereignis auf einem höheren event level zusammenfällt.
Gerade in Hinblick auf industrielle Anwendungen mit u.U. sehr stark eingeschränktem Teilnehmerkreis, wird es wichtig sein, solche Märkte möglichst attraktiv für das potentielle Publikum zu gestalten (auch andere Faktoren wie Höhe der Investitionsmöglichkeiten, spezielle Features - etwa Leerverkäufe - können die Attraktivität steigern helfen).
Die Umwelt, in der der Markt eingebettet ist und aus der die Informationen stammen die im Markt verarbeitet bzw. kommuniziert werden, spielt naturgemäß eine wichtige Rolle.
Die Marktteilnehmer stehen ja laufend vor dem Problem, möglichst viele, neue, umfassende und vollständige Informationen zu aquirieren, zu bewerten und in ihrem eigenen Erwartungsbildungsprozeß zu verarbeiten, um sich auf dem Markt Vorteile gegenüber ihren Mitkonkurrenten zu verschaffen.
V.2.2.1. Welcher Markt in welcher Umwelt?
Die Performance eines Marktes wird sich auch durch die Positionierung des Marktes in der Umwelt, die dann ja eigentlich über den Markt wieder abgebildet wird, mitbestimmt. Die Informationskanäle zwischen Markt und Umwelt müssen bestmöglichst gestaltet bzw. von den einzelnen Marktteilnehmern gestaltbar sein. Beispiel: Ein Markt über Senatswahlen in Texas in Österreich durchgeführt, wird wenig Erfolg versprechen, da für die Marktteilnehmer kaum die Möglichkeit besteht, zu guten aktuellen Informationen zu gelangen, um die Umweltsituation realistisch einzuschätzen.
Auch die eigentliche Fragestellung, die über den Markt betrachtet werden soll, muß aus der realen Umwelt möglichst einfach nachvollziehbar bzw. ableitbar sein (Bsp: Wie hoch wird der Preis der Aktie X am Tag Y an der Wiener Börse sein? Welchen Stimmenanteil wir der Kandidat A in der Wahl B erhalten? Welche Firma der Branche Y wird im Jahr 1997 die höchste Dividende ausschütten?)
Die Umwelt muß genügend Informationen liefern können, um den Marktteilnehmern, die aus dieser Umwelt stammen und die diese Informationen aus der realen Umwelt gewinnen, sammeln und bewerten müssen, die Möglichkeit zu geben, sich realistische Erwartungen bilden zu können. Bestehen solche Möglichkeiten nicht in ausreichendem Maße, werden sich nicht genügend viele (motivierte) self selected Marktteilnehmer für einen Markt finden lassen.
Das/die reale(n) Ereignis(se), das/die der Markt reflektieren soll muß/müssen daher im vorhinein durch beobachtbare Informationen zumindest grob abschätzbar, und darf/dürfen nicht in hohen Maß zufällig sein (116).
Bei der Gestaltung der Payoff-Regeln stehen mehrere Varianten zur Verfügung. Die Payoff Variante sollte sich dabei an die Natur des realen events und der eigentlichen Fragestellung anpassen, um einen möglichst engen Konnex zwischen Markt und Umwelt zu erhalten.
Für PSMs haben sich, auch in Anlehnung an die unterschiedlichen politischen Systeme, drei grundlegende Payoff-Regelungen herausgebildet:
Darüber hinaus lassen sich natürlich auch mehrere unterschiedliche Märkte für ein und dasselbe reale Ereignis parallel abwickeln. Etwa ein winner takes all und ein vote share Markt für die US-Präsidentschaftswahlen '96.
Die unterschiedlichen Fragestellungen bzw. Auszahlungsregeln führen dabei (natürlich) auch zu verschiedenen Kursverläufen.
V.2.2.2. Möglichkeiten der Informationsgewinnung
Da die Marktpreise nur eine Reflexion der für die Marktteilnehmer zugänglichen Informationen sein kann, kommt der Informationslandschaft besondere Bedeutung zu. Ein großer Vorteil bei der Bewertung mittels Märkten besteht darin, daß nicht nur allgemeine - für jedermann oder zumindestens viele - zugängliche Informationen, sondern auch lokale und private Informationsquellen erschlossen werden können. Da die Marktteilnehmer nicht nur die öffentlich zugänglichen Quellen benutzen, sondern auch Informationen aus ihrer unmittelbaren Umwelt (Familie, Arbeitswelt, ...) aufnehmen, kann durch einen Markt ein viel umfassenderes Meinungs- und Informationsspektrum zusammengetragen und aggregiert werden. Auch können öffentlich zugängliche Informationen (z.B. TV-Konfrontation vor einer Wahl, veröffentlichte Wirtschaftsdaten, Meinungsumfragen) von verschiedenen Individuen unterschiedlich interpretiert und bewertet werden.
Für die Marktteilnehmer besteht das Problem, an möglichst viele, qualitativ hochwertige Informationen heranzukommen, diese gegeneinander abzuwägen, sich daraus eine Erwartungshaltung zu bilden und auf deren Grundlage am Markt zu agieren.
Die dabei auftretenden Schwierigkeiten sind vielfältig:
Problemstellungen mit breiter Informationsbasis und vielen potentiellen Informationsträgern (117) bieten den Marktteilnehmern ein großes Feld von Informationsquellen. Teilweise können schon voraggregierte (vorverarbeitete) Informationsteile (z.B. Umfrageergebnisse, Statistiken) weiterverwendet werden, wobei aber trotzdem die Güte dieser externen Informationsverarbeitungsschritte betrachtet und eingeschätzt werden muß. Um sich aber Vorteile gegenüber den anderen Marktteilnehmern verschaffen zu können, müssen möglichst einzigartige Informationen und Informationsquellen gesucht und erschlossen werden. Damit wird der Markt dann auch mit der für gute Ergebnisse wichtigen, möglichst großen Anzahl von nur lokal verfügbaren Informationsteilen versorgt.
Je breiter das (öffentliche) Interesse an einer Thematik ist, umso breiter ist auch die Anzahl der potentiellen Marktteilnehmer (nationale Wahlgänge - lokale Wahlgänge - sehr spezielle Fragestellungen mit nur wenigen Informationsträgern). Je größer dabei das Informationsangebot gestaltet ist, umso schwieriger wird es aber auch, einen umfassenden Überblick zu erlangen und die Informationsflut laufend weiterzuverarbeiten.
V.2.2.3. Historische Informationen - repeated event Szenarios
Eine wichtige Hilfestellung bei der Einschätzung und Analyse eines Ereignisses können historische Informationen geben. Wiederholt sich ein Ereignis (event), so stehen in der Regel Informationen über die Art und die Ausprägung dieser vergangenen events zur Verfügung. In vielen Fällen sind diese Ereignisse auch nicht vollkommen unabhängig voneinander.
Ein Beispiel: gerade bei kontinuierlich immer wieder auftretenden events, wie es Wahlgänge nun einmal sind, kann versucht werden, aus den Daten über die bisherigen Ausprägungen (sprich die Wahlergebnisse) Schlüsse über die weitere Entwicklung abzuleiten. Solche Trendanalysen sind natürlich kein Ersatz für aktuelle Informationen aus der realen Umwelt, doch können sie zumindest für die grobe Abschätzung eines Szenarios dienen. Gerade in Systemen, die über einen längeren Zeitraum nicht unbedingt extremen Schwankungen ausgesetzt sind, helfen solche Abschätzungen in der Markteinführungsphase und bei der Erstellung erster Orders.
Beispiel: Im NRW '95 Markt konnten die Trader schon vor der Eröffnung des Marktes auf die Daten (Ergebnisse) der vorangegangenen Wahlgänge zurückgreifen. Da ein plötzlicher, sehr starker Wandel des politische Systems zwar nicht vollkommen unmöglich, aber doch sehr unwahrscheinlich war, konnten zumindest grobe Positionierungen der einzelnen wahlwerbenden Gruppierungen abgeschätzt werden. Dadurch konnte bei Öffnung des Marktes sehr schnell ein Handel in Gang kommen und der anfängliche Bid-Ask Spread schneller verkleinert werden (vgl. dazu Abschnitt V.3.6.). Die Marktteilnehmer können auch später noch diese historischen Informationen als eine Art Plausibilitätskontrolle verwenden.
Der Markt eröffnete am 19.10.95 mit folgenden Mittelkursen: SPÖ 31%, ÖVP 22.5%, FPÖ 27%, Grüne 9%, LF 7.8%. Betrachtet man die historische Entwicklung, so kann diese erste Positionierung wohl berechtigterweise als Trendfortrechnung angesehen werden.
Auf Märkten, bei denen keine Rückschlüsse aus der Vergangenheit getroffen werden können, müssen die ganz grundlegenden Einschätzungen erst mit Hilfe des Preisfindungsprozesses herausgefunden werden. Die erste Kursbildungsphase ist daher von größerer Unsicherheit geprägt und langwieriger. Ein solches Beispiel bietet der Markt für die österreichische EU-Abstimmung '94. Ein einmaliges Ereignis, für das keinerlei historische Information verfügbar war (118). Die Marktteilnehmer mußten sich zu Beginn erst durch sehr vorsichtige Orders einen Grundkonsens über die ungefähre preisliche Positionierung der einzelnen Shares erarbeiten.
Der event level (119) ist ein weiterer Parameter, der durch die Umwelt vorgegeben ist. Er zielt auf die Bedeutung der durch den Markt modellierten realen Ereignisse ab. Ein hoher event level bedeutet, daß ein sehr wichtiges Ereignis, von dem sehr viele Menschen betroffen sind und das daher von großem Interesse für eine große Grundgesamtheit ist, betrachtet wird. Ein niedriger event level bedeutet auf der anderen Seite, daß nur wenig Interesse - d.h. auch weniger zugängliche Information - vorhanden ist.
Der event level ist somit stark mit dem Attraktivitätsniveau korreliert (siehe dazu Abschnitt V.2.1.5.) und wirkt sich daher auch in der Marktaktivität aus.
V.3. Der Marktendzustand
Einige Daten eines Marktes lassen sich erst bei Marktschluß endgültig beurteilen. Erst dann kann das komplette Tradingvolumen festgestellt werden und die Bid-Ask Queues für die Zeit unmittelbar vor Marktschluß beurteilt werden.
V.3.1. Umsatz - Anzahl der gehandelten Shares
Ein wichtiger Maßstab für die Beurteilung eines Marktes ist das Aktivitätsniveau des Marktes. Eine Betrachtungsweise für die in einem Markt abgelaufenen Transaktionen ist die Analyse der Anzahl der gehandelten Shares. Auf diese Weise kann aber nicht nur analysiert werden wie aktiv die Marktteilnehmer handelten, sondern auch zu welchem Zeitpunkt von den Teilnehmern neue Impulse gesetzt, d.h. aber auch neue Informationen eingebracht wurden.
Allgemein wurde in allen bisher betrachteten Märkten (z.B. UBC-ESM 1993 (120) in Canada) beobachtet, daß die Gesamtanzahl der gehandelten Shares mit Näherkommen des Marktschlusses deutlich zunahm. Dies weist auf eine immer stärker werdende Aggregation von Informationen hin. Für die Trader stehen mit fortlaufender Zeit immer mehr Informationen zur Verfügung, die eine genauere Einschätzung der realen Umweltlage gestatten. Als Beispiel sei hier, stellvertretend für viele andere Märkte, die NRW '95 herangezogen. Die Anzahl der gehandelten shares begann hier 4 Wochen vor Marktschluß deutlich anzusteigen, um in der letzten Woche mit durchschnittlich 4133 pro Tag einen Spitzenwert zu erreichen.
Aus einer differenzierteren Betrachtung der einzelnen in einem Markt vorhandenen Aktien und deren mengenmäßigen Umsätzen lassen sich auch Rückschlüsse über mögliche Ereignisse in der realen Umwelt (real events, news) anstellen.
V.3.2. Umsatz - Anzahl der abgeschlossenen Kontrakte
Ähnlich wie die Anzahl der gehandelten Shares, kann auch die Zahl der abgeschlossenen Kontrakte bzw. die Relation dieser beiden Größen betrachtet werden (121). Werden verhältnismäßig wenige Kontrakte abgeschlossen, dabei aber viele Shares gehandelt, zeigt das, daß überwiegend potente (große) Trader im Markt aktiv sind. Daraus läßt sich abschätzen, ob der Markt eher durch (viele) kleine Trader oder durch große Trader geprägt war, was dann zu weiteren Überlegungen über den Umfang der aggregierten Informationen Anlaß geben kann.
V.3.3. Marktvolumen (bewertet in Geld)
Eine weitere Größe, die für Marktanalysen wichtige Aufschlüsse liefern kann, ist das monetär gemessene Marktvolumen. Dabei wird bei Vergleichen mit den Stückumsätzen auch deutlich, ob preisgünstige Aktien stärker - etwa zu Spekulationszwecken - gehandelt wurden. Daraus kann wiederum auf die vorherrschende Strategie der Marktteilnehmer zurückgeschlossen werden.
Obige Abbildung zeigt einen typischen Verlauf für das monetäre Handelsvolumen. Je näher der Marktschluß bzw. das reale Ereignis kommt, umso größer werden die Umsätze.
Siehe hierzu Abschnitt V.1.5.
Als eine wichtiger Maßstab für die Prognosequalität eines Marktes hat sich die Gegenüberstellung der (monetär) gewichteten Bid- und Ask Queues (limited order queues) herausgestellt.
Stehen nämlich zum Beispiel bei Marktschluß viele Verkaufsorders nur wenigen Kauforders gegenüber und umgekehrt, so spricht das für einen (im Moment) recht unausgewogenen Marktzustand, der (noch) nicht wirklich sein Gleichgewicht gefunden hat. Es ist in einem solchen Fall davon auszugehen, daß es bei Weiterführung des Marktes mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Sinken des Marktpreises kommen würde, da das Angebot die Nachfrage übersteigt.
Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bedeutet andererseits, daß im Moment ein relativ stabiles Gleichgewicht gefunden worden ist, das, falls keine neuen Informationen auftauchen die eine neue Bewertung der realen Umweltzustände notwendig machen, eine gute Prognose zuläßt.
Die gewichteten Orderqueues (nachgefragte bzw. angebotene Menge mal entsprechenden Preisen) geben damit einen Hinweis auf die erwartete Bewegungsrichtung des Marktes bei Weiterführung.
Aber auch der einfachere Vergleich der Anzahl der im Markt befindlichen Kauf- und Verkaufsorders läßt schon Aussagen über die Stabilität des Marktes zu.
Obige Grafik veranschaulicht, daß sich hier gerade in den letzten Tagen vor Marktschluß ein starker Nachfrageüberschuß nach "F"-Aktien auf der einen Seite und ein Angebotsüberschuß bei allen übrigen Aktien auf der anderen Seite eingestellt hat. Ein stabiles Marktgleichgewicht war zu Marktschluß daher nicht gegeben.
Die Differenz zwischen höchstem gebotenen Ankaufspreis (bid) und günstigstem Verkaufsangebot (ask) gibt Aufschluß über die "Reife" des Marktes. Allgemein ist der Bid-Ask-Spread eines im Gleichgewicht befindlichen Marktes minimal. Je unsicherer die Marktteilnehmer die Situation einschätzen und je zurückhaltender sie agieren, umso weiter werden Kauf- und Verkaufsorders preislich voneinander entfernt sein.
Am Beispiel NRW '95 ist ersichtlich, wie An- und Verkaufsorders mit fortlaufender Marktdauer immer weiter zusammenwachsen. Es ist jedoch ebenfalls zu bemerken, daß in den letzten Tagen vor Marktschluß wieder ein gegenläufiger Trend - zu einem größeren Bid-Ask Spread - einsetzte. Eine Erklärung für dieses Phänomen ist eine Wechsel der Handelsstrategie weg vom "profit out of trading" hin zu "profit from payoff".