IV. Information

Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Informationsverteilung in Märkten. Der wichtigste Fragenkomplex befaßt sich mit dem Diffusionsprozeß, der aus den ungleich verteilten Informationsteilen die bei den Marktteilnehmern liegen, über den Marktmechanismus (Preis), eine Weiterverbreitung und Angleichung der Informationen erreicht. Wie, wodurch und wie schnell diese Prozesse in Gang kommen, ob Lerneffekte eintreten können und welche Marktdesignkomponenten sie begünstigen helfen oder erschweren können, sind weitere wichtige Fragen.

Informationen können prinzipiell in öffentliche, d.h. allgemein zugängliche, und private bzw. nur bestimmten Teilnehmern/Teilnehmerkreisen zugängliche Informationen untergliedert werden. Vorhandene Informationsvorsprünge (oder zumindest angenommene) bilden dabei eine wichtige Motivationsgrundlage für die einzelnen Teilnehmer. Verfügt ein Marktteilnehmer über solche nicht allgemein zugängliche Informationen, oder glaubt er, bestimmte Informationen anders (besser) einschätzen zu können und so Arbitrageeffekte auszunutzen, so entsteht eine wichtige Motivationsquelle für einen Handel.

Schon 1945 formulierte Hayek eines der fundamentalen Probleme der Gesellschaft folgendermaßen (59):

    "... The economic problem of society is thus not merely a problem of how to allocate "given" 
    resources - if "given" is taken to mean given to a single mind which deliberately solves the 
    problem set by these "data". It is rather a problem of how to secure the best use of resources
    known to any of the members of society, for ends whose relative importance only these
    individuals know. Or, to put it briefly, it is a problem of the utilization of knowledge not given to
    anyone in its totality."

Ein umfassendes, realistisches Bild kann daher nur zustande kommen, wenn alle verfügbaren Informationsbruchteile zu einem Ganzen ergänzt werden können. Dazu müssen zunächst alle Informationsquellen einmal identifiziert und ausgebeutet werden, um die so gewonnenen Informationen dann bewerten und aggregieren zu können.

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IV.1. Informationen als treibende Kräfte in Märkten

Märkte auf denen sich Anbieter und Nachfrager (von immateriellen Gütern wie Aktien, Optionen, Terminkontrakten, ...) gegenüberstehen, können auch als Handelsplatz für Informationen angesehen werden. Der Informationsstand der einzelnen Marktteilnehmer beeinflußt deren Erwartungen und führt in letzter Konsequenz zum Setzen von Handlungen, die in Transaktionen am Markt enden.

Dabei fließt ein weites Spektrum an verschiedenartigsten Informationen in die Entscheidungsprozesse mit ein. Um ein gesamtwirtschaftlich (bezogen auf den Markt) optimales Ergebnis erzielen zu können, müssen daher möglichst viele (alle) Träger von Informationen in den Entscheidungsprozeß miteingeschlossen werden. Oder in aller Kürze:

   "... that every individual has some advantage over all others in that he posseses unique information 
   of which beneficial use might be made, but of which use can be made only if the decisions depending
   on it are left to him or are made with his active cooperation." (60)

Die experimentelle Ökonomie beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Fragestellungen rund um verschiedenste Informations- und Marktszenarien. Dabei werden in Laborexperimenten Versuchspersonen dazu angehalten, auf Basis eines ihnen vorgegebenen Informationsbündels (z.B. Informationen über Kosten, Nutzen, Kapazitäten, erwartete Renditen, etc.) ökonomisch optimale Entscheidungen zu treffen. Durch die mehrmalige Wiederholung von Experimenten und Variation der Informationsausstattung und -verteilung kann der Einfluß des Informationsenvironments und die Verarbeitungsmechanismen untersucht werden (61).
Anhand der, den einzelnen Marktteilnehmern zugänglichen Informationen wird jedes einzelne Individuum versuchen, den größtmöglichen Nutzen aus dem Markt zu ziehen. Dabei kommt es aber zwangsläufig durch die von den Individuen gesetzten Aktionen (z.B. Abgabe einer Ver/Kauforder) zu einem zumindest teilweisen, oft sogar unbewußten Aufdecken des lokalen (individuellen) Informationsstandes. Durch die Marktinteraktionen werden damit Informationsteile von den einzelnen Individuen zu den übrigen Marktteilnehmern transportiert. Mit fortschreitenden Marktaktivitäten werden so Stück für Stück alle verstreut vorhandenen Informationsbruchstücke kommuniziert und können nach und nach aggregiert werden. Je besser es einem Marktteilnehmer gelingt, diesen Informationstransfer zu gestalten und für sich auszunutzen, und je erfolgreicher er beim Auffinden neuer, für seine Entscheidungen nützlicher Informationen ist, umso erfolgreicher wird er bei der Ausschöpfung des vorhandenen Nutzenpotentials sein. In realen Märkten, etwa Aktienmärkten, sind der Suche nach und Analyse von neuen Informationen durch das extrem weitläufige Environment fast keine Grenze gesetzt. Zu groß ist die Anzahl potentieller Einflußfaktoren in der komplexen Umwelt der menschlichen Gesellschaft. Letztlich schränken nur die Kosten (Zeit, Geld) eines solchen Such- und Analyseprozesses die einzelnen Individuen ein. Ein Agieren im Besitz vollkommener Informationen ist daher nahezu nie möglich. Jedes Individuum, das am Marktgeschehen teilnimmt, wird aber trotzdem immer darauf bedacht sein, neue Informationen schnellstmöglich zu identifizieren und zu seinem eigenen Vorteil zu benutzen.
Daher treibt die sich andauernd ändernde und dabei neue Informationen generierende Umwelt den ständig andauernden Neubewertungsprozeß "Markt" voran.

In den Experimenten der experimentellen Ökonomie werden in Laborexperimenten oft stark eingeschränkte Umweltsituationen simuliert. Das Environment kann dann in der Regel genau definiert werden und die Möglichkeit der Informationsbeschaffung ist begrenzt. Unter diesen genau definierten und kontrollierten Rahmenbedingungen kann dann das Verhalten der agierenden Individuen beobachtet werden und auf ähnliche Prozesse in der realen Umwelt rückgeschlossen werden.

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IV.2. Marktrelevante Informationen

Prinzipiell sind alle Informationen, die in irgendeiner Art und Weise Einfluß auf das Verhalten eines im Markt agierenden oder eines den Markt direkt und indirekt beeinflussenden Individuums haben könnten, als marktrelevant einzustufen.
Dadurch ist in den meisten Fällen realer Märkte bzw. Umweltsituationen nur extrem schwer wirklich eine exakte Abgrenzung des Informationsspektrums definierbar. Zu viele Interdependenzen und Seiteneffekte, die das menschliche Verhalten prägen, müssen beachtet werden. Wahrscheinlich das Hauptproblem in den Wirtschaftswissenschaften verglichen mit den klassischen Naturwissenschaften.
Von vornherein sollten daher alle Informationen, die einem Individuum möglicherweise als Grundlage für Entscheidungen von Nutzen sein könnten, gleichwertig betrachtet werden.

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IV.2.1. öffentlich zugängliche Informationen

Das eine Information öffentlich zugänglich ist, heißt nicht notwendigerweise, daß sie jedem bekannt sein muß. Offizielle Börsenkurse sind zum Beispiel öffentlich zugänglich (werden publiziert) aber sicherlich nicht jedermann bekannt. Ähnlich verhält es sich mit vielen anderen Daten z.B. Wirtschaftsdaten, Statistiken, Umfrageergebnissen oder auch Unternehmensdaten. Der Zugang zu diesen Daten ist sehr offen gestaltet, aber nicht alle Individuen sind auch wirklich daran interessiert.
Diese Daten können den Grundstock für Entscheidungen bilden, da sie mit vergleichsweise geringem Aufwand erreichbar sind. Sie bieten dem einzelnen im Vergleich zu anderen gut informierten Individuen aber nur wenige wirkliche Wettbewerbsvorteile, da auch diese Zugriff auf dieselben Informationen haben. Umgekehrt kann aber aus der Unkenntnis solcher öffentlichen Informationen natürlich gerade deshalb ein großer Nachteil erwachsen. Die Problematik besteht darin, daß jeder weiß, daß, was er weiß, auch alle anderen wissen könnten (62) und die Auswirkungen die dieses Wissen bei den Konkurrenten haben könnte, abgeschätzt werden müssen.
Während der Laufzeit der diversen PSMs wurden immer wieder Meinungsumfragen in den diversen Medien veröffentlicht. Jeder Marktteilnehmer mußte diese neuen Informationen bewerten und seine Handlungsweise entsprechend adaptieren (oder auch nicht). Es war aber darüber hinaus auch notwendig, abzuschätzen, wie die anderen Trader auf solche Umfrageergebnisse reagieren würden und diese Reaktion schon im vorhinein in der eigenen Tradingstrategie zu berücksichtigen.
Ein Beispiel: Ist mit dem Steigen der Kurse einer Partei mit guten neuen Umfrageergebnissen zu rechnen oder schätzen die Konkurrenten die Umfrage vielleicht anders ein? Wie soll darauf reagiert werden?
Allgemein hat sich gezeigt, daß neue Umfrageergebnisse keinen sehr großen Einfluß auf die Marktpreise gehabt haben. Das Beispiel SPÖ-Aktie im NRW '95 zeigt, daß auf neue Umfragewerte (durch das "x" markiert) keine unmittelbaren Reaktionen der Marktpreise erfolgt sind.


Abb. 12: Umfrageergebnisse (incl. angegebener Schwankungsbreite) verglichen mit der Kursentwicklung (tägliche Höchst/Tiefstpreise) der Aktie im NRW '95

Wesentlich ist also wie die Trader die Informationspartikelchen untereinander verknüpfen und gewichten. Durch die Konzentration auf die anderen Trader und das Ergebnis ergibt sich von selbst, daß persönliches Wunschdenken bzw. in einem PSM das persönliche Verhalten am Wahltag keine Rolle spielt. Dies ist eine wesentliche Beobachtung, die den Unterschied zu repräsentativen Umfragen erklärt. Sie zeigt auch, daß eine Auswahl bzw. Identifizierung sogenannter repräsentativer Trader nicht möglich ist.

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IV.2.2. private/individuelle Informationen

Im Gegensatz zu den öffentlich zugänglichen Informationen bzw. Informationsquellen existieren Informationen, die erst gesucht und erschlossen werden müssen. Der dazu notwendige Aufwand (die Kosten) wird in der Regel größer sein als bei der "Konsumation" öffentlicher Informationen. Dafür bieten auf diesem Weg erschlossene Daten einen größeren Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Marktteilnehmern. In vielen Märkten können nicht allgemein zugängliche Informationen auch durch spezialisierte Informationsbroker (z.B. Anlageberater) erworben werden. Bei der Verwendung so erworbener Informationen, stellt sich zusätzlich zum Problem der Bewertung und Integration in die angewandte Strategie die Frage, wie man die Kenntnis von solchen Informationen möglichst lange vor den übrigen Konkurrenten verbergen kann (Vermeidung der Free Rider Problematik (63)).

Auf lange Sicht werden jedoch auch diese Informationen durch das Agieren am Markt, den anderen Marktteilnehmern bekannt werden.

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IV.2.3. nicht relevante Informationen

Bei der Bewertung der gesammelten Informationen steht das Individuum vor dem Problem, nicht relevante Informationen identifizieren und ausscheiden zu müssen. Wie kann aber abgegrenzt werden, was für das Treffen von Entscheidungen bei einer bestimmten Problemstellung relevant oder nicht relevant ist?
Selbst wenn Individuum A meint, eine bestimmte Information (eine Faktum) habe keinen Einfluß auf Entscheidungen über eine gegebene Problemstellung, so kann Individuum B anderer Meinung sein und dieselbe Information beim Fällen von Entscheidungen sehrwohl berücksichtigen. A muß also abschätzen, ob die Information nicht vielleicht doch indirekt Einfluß auf seine zukünftigen Entscheidungen haben kann, weil sie andere Marktteilnehmer in ihren Entscheidungen beeinflußt.
Zusätzlich läßt sich in Experimenten zeigen, daß überflüssige Informationen, die eigentlich keinen Einfluß haben sollten, oft trotzdem beachtet und in die Entscheidungsfindung eingebaut werden.
Ein Beispiel: In einem DAM Experiment übernehmen einige Marktteilnehmer die Rolle von Milchproduzenten (mit vorgegebener Kostenstruktur), andere die Rolle der Konsumenten (vorgegebene Nutzenstruktur). Bei Iteration über mehrere Spielperioden stellt sich sehr bald der aus Kosten und Nutzen errechenbare Gleichgewichtspreis (bzw. die Gleichgewichtsmenge) ein.


Abb. 13: Annäherung an den Gleichgewichtspreis in einem DAM Experiment

Werden die Marktteilnehmer zu Beginn des Experiments darüber informiert, daß ein staatlicher Höchstpreis für das Produkt existiert, der aber so gewählt wurde, daß er weit über dem Gleichgewichtspreis liegt - eine im nachhinein gesehen eigentlich nicht relevante Information - so verzögert sich die Findung des Gleichgewichtspreises. (64)

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IV.2.4. Informationseffizienz

In einem 100% effizienten Markt spiegelt der Preis theoretisch sämtliche (65) Informationen wider. Dies führt jedoch zu dem Paradoxon (66), daß für den Fall eines alle Informationen reflektierenden Preises kein Marktteilnehmer am Erwerb neuer Informationen (mit Kosten verbunden) interessiert ist. Alle Trader bleiben damit uninformed traders und beobachten nur den Marktpreis. Ist aber keine Marktteilnehmer bereit, neue Informationen zu suchen und über seine Marktaktivität in den Markt "einzuschleusen", kann der Preis auch nicht alle Informationen widerspiegeln. Es existiert dann kein Marktgleichgewicht (67).

Grossman und Stiglitz haben anhand eines Modells gezeigt, daß:

   "The only way informed traders can earn a return on their activity of information gathering, 
    is if they can use their information to take positions in the market which are "better" than the
    position of uninformed traders. "Efficient Markets" theorists have claimed that "at any time
    prices fully reflect all available information". [...]. If this were so then informed traders could
    not earn a return on their information. We showed that when the efficient market hypothesis 
    is true and information is costly, competitive markets break down." (68)

Damit Märkte trotzdem funktionieren können müssen daher
a) Anreize bestehen, neue Informationen zu suchen bzw. b) diese Informationen dürfen nicht sofort vollständig transportiert werden.

Es entsteht damit ein Konflikt zwischen Effizienz und Funktionstüchtigkeit eines Marktes:

   "There is a fundamental confict between the efficiency with which markets spread information 
   and the incentives to acquire information." (69)

Reale Märkte weisen im Vergleich (70) zu in der Theorie betrachteten Modellen meistens einige Merkmale auf, die das Erreichen von vollkommener Effizienz von vornherein einschränken:

Damit unterscheiden sich diese Märkte von den meisten Modellen und theoretischen Betrachtungen, die in vielen wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten untersucht wurden. Dort werden häufig Prämissen, wie z.B. risikoaverses Verhalten, Kenntnisse über zukünftige Cashflows (oder zumindest deren Wahrscheinlichkeiten), bestimmte Formen von Nutzenfunktionen, absolute ökonomische Rationalität der agierenden Individuen u.s.w. benutzt, um überhaupt Aussagen auf analytischem Wege treffen zu können.
In realen Märkten - und Feldexperimente wie der Iowa Electronic Market können hier ebenfalls eingeordnet werden - übersteigt die Komplexität eines Marktes, die aus dem Zusammenwirken der Umwelt mit der eigentlichen Marktinstitution und den handelnden Agenten erwächst, die Gestaltungs- und Kontrollmöglichkeiten eines theoretischen Modells bei weitem.
Dadurch wird es notwendig, analytische Erkenntnisse, die mit Hilfe solcher sehr eng definierter Modelle erlangt wurden, auch an realen Anwendungen zu verifizieren, um Aussagen über die Allgemeingültigkeit treffen zu können.
PSMs erfüllen somit einerseits die Aufgabe zu testen inwieweit Theoreme und Hypothesen in einem, im Vergleich zu Modellen sehr viel komplexeren Ambiente, ihre Gültigkeit behalten, andererseits sollen Möglichkeiten (z.B. Designvarianten der Institution) gefunden werden, um bestimmte gewünschte Eigenschaften eines Marktes (z.B. gute Verarbeitung und Aggregation von Informationen) sicherzustellen.

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Gerhard Ortner
Technische Universität Wien
Institut für Betriebswissenschaften, Arbeitswissenschaften und Betriebswirtschaftslehre
Abteilung für Industrielle Betriebswirtschaftslehre
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Last Updated: 1996-08-21