Zillo 10/97



Björk - "Wir Wikinger sind die größten Rebellen aller Zeiten"

Text: Steffen Rüth

Fotos: ?


In "Hunter", dem ersten Song ihres neuen Albums "Homogenic" singt Björk folgende Schlüsselzeile: "Oh, how Scandinavian of me". Wie meint sie das? Die Frage überrascht die 31jährige Isländerin, die mit ihrem Sohn Sindri (11) seit vier Jahren in London lebt, sichtlich. "Oh, das ist doch offensichtlich. Menschen aus Island lagen immer schon im Clinch mit de restlichen Welt. Die übrigen Skandinavier zum Beispiel halten wir alle für komplette Idioten, weil die so organisiert und vernünftig sind. Wir Isländer dagegen sind diese Hardcore-Wikinger, die sich zu allen möglichen (und vor allem unmöglichen) Anlässen besaufen. Das ist Anarchie. Im Jahre 800 waren die Wikinger die ersten Anarchisten überhaupt, später dann die größten Rebellen aller Zeiten. Wir Isländer sind ein anarchistischer, arroganter Clan, der sich von nichts und niemandem etwas vormachen läßt." Die Frage wäre also geklärt. Als isländische Wikingerin ("Meine Familien-Stammbaum der vergangenen 1000 Jahre enthält ausschließlich Isländer") liebt Björk den radikalen, wenig auf Kompromisse bedachten Charakterzug ihres Heimatvolkes.

 


Auch aufgrund ihrer Herkunft unterstützte sie die Organisation "Free Tibet". Beim diesjährigen "Free Tibet"-Festival in New York präsentierte sie beispielsweise erstmals einige ihrer neuen Songs. "Ich kann verstehen, wie sich die Menschen in Tibet fühlen müssen. Schließlich sind wir Isländer auch 600 Jahre lang scheiße behandelt worden. Weißt du, ich bin eine dieser modernen Mütter mit Handy und Internet-Anschluß. Aber gleichzeitig kann ich auch richtig altmodisch, heimatverbunden und patriotisch sein. Mit Politik will ich mich nicht einlassen. Aber ich kämpfe mit fünf Trompeten und 75 Flaggen für die persönliche Politik des Einzelnen, wie ich es nenne: Für die Freiheit. Und abgesehen davon muß man nicht politisch bewandert sein, um zu sagen, daß man es unerträglich findet, was China mit Tibet macht."

Was uns nicht umbringt, macht uns härter. Ein Statement, so trivial wie zutreffend. Auch und gerade im Falle von Björk Gudmundsdottir. Es war alles andere als ein angenehmes Jahr für sie, dieses 1996. Erst bekommt der Medienliebling zum ersten Mal in ihrer Karriere ziemlich miese Presse für die Prügelei mit einer Fotografin auf dem Flughafen in Bangkok. Ein Vorfall im übrigen, der inzwischen ganz anders bewertet werden dürfte. Dann geht ihre Beziehung mit DJ-Star Goldie unter viel Medien-TamTam in die Brüche ("Es war großartig, so lange es hielt") und schließich schickt ihr ein irrer Fan auch noch ne Briefbombe ins Haus, die glücklicherweise rechtzeitig entdeckt und entschärft werden konnte. Vor allem dieser letzte Vorfall hat Spuren hiterlassen auf der Seele der ebenso selbstsicheren wie sensiblen jungen Frau. "Ich habe das noch nicht verarbeitet. Du träumst davon und alles. Du machst einen Job, der dazu führen kann, daß dein Kind getötet wird. Das ist schon sehr merkwürdig, sowas überhaupt in den Kopf zu bekommen. Aber was soll ich machen? Einen anderen Job annehmen?"

Björk entschied sich für die Flucht auf Zeit. In Island geboren und aufgewachsen und mit ihrer damaligen Band The Sugarcubes zum ersten Mal die Welt bereisend, zog es die alleinerzeihende Mutter mit ihrem Sohn vor vier Jahren in die "Mega-Urbanität", nach London. "Ich wäre liebend gerne eine Zeit lang nach Island zurückgekehrt, aber dort sind all diese Erinnerungen, meine Verwandten, die Leute, die ich so liebe. Ich hätte das Leben dort womöglich zu sehr genossen und wäre nicht mehr zum Arbeiten gekommen."

Die isländische Heimat kam also als Zufluchtsort nicht in Frage. Dennoch: "Ich wußte, daß ich raus mußte, um nicht verrückt zu werden," sagt die 31jährige sehr ernsthaft. "Ich brauchte einen ruhigen Ort, an dem ich mich ausgiebig mit mir selbst unterhalten konnte, um die schlimmen Ereignisse, aber auch die ganzen letzten vier Jahre erstmal zu verarbeiten."

Björk nahm die nötige Auszeit aus ihrem Blitzlichtgewitter- Leben in Südspanien, in der Nähe von Gibraltar. Im dortigen "El Madronal"-Studio wollte sie ursprüngliche nur zwei Tage bleiben, um einige Flamenco-Parts aufzunehmen, doch dann blieb sie ganze sechs Monate. "Der Ort war unglaublich anmutig. Ich habe mir gesagt 'Björk, du bleibst jetzt einfach hier'. Es war so eine 'Hauptsache- weg- von- allem'-Sache. Ich war auf neutralem Gebiet mit ganz viel Natur drumherum. In meiner damaligen Situation brauchte ich die Natur wirklich sehr dringend, um mit mir selbst in Dialog zu treten. Spanien war wie eine Therapie - die Erfahrungen dort haben mir sehr, sehr gut getan." Nach vier Jahren auf der globalen Music- Biz- Überholspur und zwei großartigen, innovativ-unkonformen Dance- Pop- Techno- Ambient- Alben - oder wei immer man das im ausgehenden 20. Jahrhundert nennen will - hatte sie endlich die verdiente Zeit zum Luftholen.

Aber nicht, daß Björk sich bloß faul am Pool gefläzt hätte. Oh nein. Sie hat gearbeitet. Und zwar so konzentriert und eigenverantwortlich wie nie zuvor. "Homogenic", das dritte Solo-Album, wenn man die Remix-Collection "Telegram" vom vergangenen Herbst nicht mitrechnet, ist das erste, das sie selbst produziert hat und auch das erste, bei dem sie sich für Konzeption und Komposition größtenteils allein verantwortlich fühlt. Mark Bell vom britischen Techno-Act LFO sei ihr "Fangnetz" gewesen in El Madronal, "aber ich denke, irgendwie habe ich es wirklich selber produziert. Je älter du wirst, desto mehjr wächst du an deinen Aufgaben und lernst dazu. Ich habe mit jedem Album ein bißchen mehr selbst gemacht und ohne jetzt andere Künstler, die sich produzieren lassen, anzugreifen: Aber ab einem bestimmten Punkt wäre es Feigheit, die Sache nciht selbst in die Hand zu nehmen. Immerhin sind es MEINE Songs." Schon das Schreiben der Lieder habe eine Menge bewirkt in Sachen analytischer Selbstfindung, so Björk. "Manche Leute ordnen ihre Briefmarkensammlung, wenn sie deprimiert sind. Ich dagegen teile meine Höhen und Tiefen gerne mit Leuten. Deshalb schreibe ich Songs."

Nun mag Björks Musik zwar auch in der Vergangenheit nicht gerade einfach zugänglich und simplen Mustern folgend gewesen sein, auf "Homogenic" jedoch verlangt sie dem Hörer aber erstmals wirklich alles ab. Mit Ausnahme von einigen, wenigen Songs ("Bachelorette") spielen die Melodien eher eine Nebenrolle, den Hauptpart übernehmen komplexe Beat Arrangements. Die Platte ist ein wahres Füllhorn der modernen Studiotechnik. Mit Sicherheit gänzlich ungeeignet zum oberflächlichen Hören und auch fast nicht mehr an einem Stück akustisch zu bewältigen. "Homogenic" ist ohne Frage Frau Gudmundsdottirs bislang größtest und ehrgeizigstes Oevre, schwere, dunkle und komplexe Kost. Ob das Album gleichwohl den kommerziellen Wünschen ihrer Firma gerecht würde, darüber habe sie gar nicht erst nachgedacht. "Ich würde meinen Weg niemals verlassen, um mehr Platten zu verkaufen." Auch so ein Wikinger-Statement.

Björk selbst beschreibt ihre Enwicklung gewohnt wortreich. "Es gibt Leute, die halten mich, besonders seit meinem Remix-Album "Telegram", für eine Art avantgardistischse Dance-Queen, aber ich sehe das so: Ich mache Musik für Kopfhörer und fühle mich sehr geschmeichelt, wenn auch die Dance-Szene etwas damit anfangen kann." Da stapelt die Isländerin, sonst gewiß kein Kind von falscher Scheu und Bescheidenheit, nun doch einwenig tief. Für das neue Album standen die Remixer geradezu Schlange, RZA vom Wu-Tang-Clan, Howie B., der zuletzt mit U2 an deren "Pop" gearbeitet hat, Alec Empire aus Berlin und viele mehr haben sich bereits der neuen Songs angenommen. "Vor jedem Album sage ich 'Diesmal wird es garantiert keine Remixe geben, weil ich direkt die perfekten Versionen aufnehme', aber dann stelle ich jedesmal fest, daß es extrem lehrreich ist, wenn ich höre, was andere Leute mit meinen Songs anstellen. Der Hauptgrund, warum ich doch immer wieder bei Remixen einwillige, ist der, daß die Leute einfach so geile Sachen zum Tanzen machen. Tanzmusik finde ich großartig, auch wennich nicht sagen würde, das ich selbst welche mache."

Dazulernen, sich weiterbewegen, nie stillstehen - das sind die Attribute, die das Kreativ-Leben dieser Frau prägen, seitdem sie als 11jährige ihr erstes Album mit isländischen Kinderliedern aufgenommen hat. "Ich will wachsen, mich entwickeln. Wenn ich Songs schreiben würde, die es schon gibt, könnte ich als Hausfrau in Island alt werden. Aber es ist mir wichtig, neue Ideen in die Musik einzubringen. Innovativ zu sein ist in erster Linie eine Einstellungssache, ganz gleich, welches Instrument du bneutzt oder welche Art von Musik du machst. Du kannst auch mit einem Bleistift innovativ sein, wenn du zum Beispiel ein toles Buch schreibst." Und Frau Gudmundsdottirs Inspirations-Quellen sprudeln offenbar wie die Geysire ihres Heimatlandes."Ich habe noch fünfzig Jahre vor mir. Und höchstens zehn Prozent von den Ideen, die ich im Kopf habe, konnte ich bis jetzt auf Vinyl aufnehmen. Manchmal bekomme ich richtig Panik, daß mir die Zeit wegläuft. Ich merke, daß ich immer weniger Geduld mit den Dingen habe."

Was "Homogenic" angeht, so werden sich wohl einige angesichts der steten Streicher-Präsenz wundern. Das "isländische Streicher-Oktett" ist auf fast jedem der Songs zu hören. "Die Streicher waren die größte Herausforderung diesmal" so Björk.

Grund für die Violinen - auf einer EP werden zudem in Kürze Aufnahmen mit dem renommierten "Brodsky Quartett" erscheinen - war Björks ungewöhnliche Herangehensweise an ihr neues Album. "Meine Ausgangsidee war es, die ganze Platte sehr homogen und zusammenhängend klingen zu lassen, wie der Titel schon sagt. Ich wollte die Beats auf der linken Seite, die Streicher auf der rechten Seite und meine Stimme in der Mitte und null Bässe. Und zwar so eindeutig, daß man das auf jeder kleinen Anlage einstellen kann, ob man nun lieber, ich sage mal, die "Kammermusik-Version" oder die "Club-Version" hören will. Aber als ich dann erstmal dabei war, habe ich natürlich wieder mit sämtlichen Prinzipien gebrochen." Und genau dieser Charakterzug ist es, der Björk so faszinierend und einzigartig macht. Wie gesagt, die Isländer sind die größten Rebellen der Welt. Auf die kommenden fünfzig Schaffens-Jahre der Berühmtesten von ihnen darf man sich freuen.