Die Woche 17/9/97Power aus TrauerInterview: Christian BussPhoto: Philip Poynter
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DIE WOCHE In Ihren Songs geht es immer wieder um Menschen, die ihr Glück in der Einsamkeit finden, als Künstlerin aber bringen Sie seit einigen Jahren die klügsten Köpfe moderner Popmusik zusammen. Wie schafft es eine bekennende Einzelgängerin, so geschickt im Umgang mit anderen zu sein? BJÖRK Als Kind war ich immer ganz alleine und dabei ganz ausgefüllt. Mir fehlte nichts. Ich konnte den ganzen Tag lang durch die Gegend laufen, und wenn ich mit jemandem reden wollte, tat ich das eben mit Steinen oder was sonst so meinen Weg kreuzte. Es ist für mich auch heute noch so, daß ich die glücklichsten Momente für mich alleine erlebe, während die schrecklichsten Momente immer mit anderen Personen zu tun haben. Auf der anderen Seite empfinde ich Kommunikation als große Herausforderung. Denn Kommunikation ist wie die Liebe, ein wunderbares Riskiko. DIE WOCHE Die Musiker, mit denen Sie zusammenarbeiten, wechseln extrem häufig. Mal ist es Tricky, mal ist es RZA vom Wu-Tan Clan. Ist es schwer, länger mit denselben Leuten zusammen zu sein? BJÖRK Seit ich 13 war, habe ich in Bands gespielt. Erst in der Punkband Kukl, dann bei den Sugarcubes. Aber irgendwann kommt bei mir immer der Punkt, wo mich die anderen Leute nicht mehr überraschen. Das ist ein Fehler von mir, der mich sehr oft traurig macht. Ich glaube, daß ich in gewissem Sinne eine Psychopathin bin. Mir gehen diese wunderbaren Sachen im Kopf herum, 24 Stunden am Tag, aber es ist so schwierig, sie mit jemandem zu teilen. Das treibt mich manchaml an den Rand des Wahnsinns. Es gibt diese Sehnsucht, mich mitzuteilen. Das war auch der Grund, warum ich vor vier Jahren Island verlassen habe: Da gab es niemanden mehr, der mich angespornt hat, meine Kunst weiterzutreiben. Schau, ich bin jetzt 31, aber ich glaube, ich habe gerade mal 10 Prozent von dem, was in mir vorgeht, in Musik umgesetzt. DIE WOCHE Das neue Album "Homogenic" ist Ihr musikalisch ambitioniertestes Werk. Sie setzen fast ausschließlich Streicher und elektronisch erzeugte Rhythmen ein. Hat diese Reduktion etwas mit der neuen Ernsthaftigkeit in Ihrem Leben zu tun? BJÖRK Auf jeden Fall. Früher habe ich mich wie ein verwöhntes Kind aufgeführt, das den Hörern andauernd irgendwelches Spielzeug an den Kopf wirft. Ich habe Unmengen von Instrumenten benutzt, aber so ist es natürlich einfach, Aufmerksamkeit zu bekommen. Diesmal wollte ich die emotionale Skala mit reduzierten Mitteln abmessen. Rhythmus und Streicher sind für mich elementare Geräusche, sie wirken ganz direkt. Die Beats verkörpern den Herzrhythmus, die Streicher das Nervensystem. Streicher sind für mich wie Akupunktur, wie eine Nadel, die einen ganz präzisen Reiz verursachen kann. Zur Zeit arbeite ich an einem weiteren Projekt mit dem Berliner Techno-Künstler Alec Empire, wo dieses Konzept noch radikaler umgesetzt werden soll: Auf einem Kanal wollen wir die Streicher aufnehmen, auf dem anderen die Beats. Und meine Stimme ist auf beiden Kanälen zu hören. Alles, was ich ausdrücken will, kann ich mit diesen Mitteln tun. DIE WOCHE Auf der Vorab-Kassette zum Album, die an die Journalisten abgegebne wurde, ist eine Flamenco-Gitarre zu hören. Und zwar in dem Song "I'm So Broken", einem unglaublich pathetischen Blues. Auf dem Album, das in die Läden kommt, fehlt das Stück. Warum haben Sie es rausgeschmissen? BJÖRK Er ist zwar sehr anrührend, aber zu privat. Als ich ihn vor einem Jahr geschrieben habe, war mein Herz gebrochen. Damals bin ich nur knapp dem Anschlag eines Verrückten entgangen (ein 21-Jähriger aus Florida hatte Björk eine Schwefelsäure-Briefbombe geschickt, weil sie mit dem Schwarzen Goldie zusammenlebte; später tötete er sich mit einem Kopfschuß, d. Red.). Ich wurde dauernd von Fotografen verfolgt und gleichzeitig ging meine Beziehung zu Goldie in die Brüche. Ich hatte mich nach Spanien zurückgezogen, und dort entstand der Song. Als ich ihn jetzt noch einmal gehört habe, war ich schockiert. Da hälst du dich immer für eine extrem komplexe Person, und kaum liegt dein Leben als Scherbenhaufen vor dir, schreibst du einen Song, der vor Klischees nur so trieft. Wirklich erbärmlich. DIE WOCHE "Homogenic" wurde in Spanien aufgenommen. Sie leben seit vier Jahren in London, alle reden von der Isländerin Bjork. Was bedeutet Ihnen die Insel noch? BJÖRK Kein Ort auf der Welt und keine Person kann mir geben, was ich von der Insel bekomme. Du spürst hier, daß dein persönliches Drama nichts ist im Vergleich zum Drama der Welt. Früher hatte ich oft Selbstmordgedanken, ich ging dann zu einer windigen Klippe und schrie mir die Seele aus dem Leib. Das war natürlich naiv, funktionierte aber. Wo du dich auch auf Island aufhälst, spürst du die Natur. Selbst die Haupteinkaufsstraße von Reykjavik kann innerhalb von Minuten von einem Schneesturm verwüstet werden. Island erinnert dich immer wieder an deinen Körper. Jetzt lebe ich wegen meiner Arbeit immerzu in großen Städten, das entfernt mich manchmal von mir selbst. Als ich vor drei Jahren in Los Angeles war, gab es nachts ein Erdbeben. Die Bilder fielen aus dem Rahmen, der Fernseher kippte um, ich aber sprang auf und bin vor Freude auf meinem Bett rumgehopst. Das würde wahrscheinlich jeder Isländer so machen, weil es unter Island ja auch ständig rumort. Ich wußte zwar, daß ich eigentlich Angst haben sollte, trotzdem war ich froh, endlich wieder die Kräfte der Erde zu fühlen. Und ich rede hier nicht von Religion. Ich glaube an fast alles, aber nicht an Gott. DIE WOCHE Aber Sie sprechen wie eine Anhängerin des Pantheismus, der alle Dinge in der Natur als Erscheinungsformen eines göttlichen Prinzips empfindet. BJÖRK Keine Ahnung, was das ist. Das muß ich noch irgendwann einmal abchecken. Gerade habe ich ein Buch über Buddhismus gelesen. Das hat mich rasend gemacht... DIE WOCHE ... und in "Alarm Call", einem Song auf dem neuen Album, singen Sie: "I'm no fucking buddhist." Buddhismus ist doch in Ihren Kreisen sehr en vogue. Woher kommt dieses gespaltene Verhältnis? BJÖRK Mit
15 habe ich viel über Zen-Buddhismus gelesen,
das hat mich in meiner Neugier auf die Welt bestärkt. Ich dachte, es
wäre interessant, sich 15 Jahre später noch einemal mit dem
Thema zu beschäftigen. Aber die Passivität einiger Buddhisten
regt mich wirklich auf! Ganz wörtlich wird in dem Buch, das ich gelesen
habe, empfohlen: Sei nicht emotional. Also ehrlich, die spinnen doch.
Ich habe das Buch in die Ecke geklatscht. Obwohl ich sagen muß, daß
es sehr viele gute Gedanken im Buddhismus gibt. 90 Prozent ist sehr weise, der
Rest bullshit. Und Buddha war wirklich ein superguter Typ.
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