Musikexpress 1/97Platte des Monats: Björk - TelegramText: Harald Kepler (hpk)Fotos: Rafael Jablonka, Richard Chambury/Alpha, David Redfern/Redferns
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Dieser Glaube wird
von TELEGRAM nicht überstrapaziert. Insgesamt existieren
um die 6o Remixes der Stücke von POST,
dem letzten ,,richtigen" Björk-Album. Und viele davon
sind unter Beihilfe der isländischen Sirene persönlich
entstanden. Für TELEGRAM hat sie von jedem
Song die Version ausgesucht, die die Eigenart
des Liedes am konsequentesten hervorhebt und dabei
oft auch den Gesang neu aufgenommen. Auf der
Plus-Seite kriegen wir LFO's Space-Version von 'Possibly Maybe',
Dillinjas Drum & Bass-Mix von 'Cover Me',
'Army Of Me' im metallesken Ambient-Mix von
Graham Massey (8o8 State), und last but eindeutig
best 'Headphones' im beeindruckend spröden Stil
des Finnen Mika Vainio.
Weniger glücklich ist die 'Hyperballad' des Brodsky Quartets, Deodatos säuslige 'Isobel' in Begleitung von 60 Streichern, und geradezu unerklärlich Dobie's Langweil-Rap zu 'I Miss You'. Dagegen ist 'My Spine' ein Duett von Stimme und polierten Autoauspüffen, aus denen die taube klassische Perkussionistin Evelyn Glennie einen Zauberteppich aus Sounds macht.
"Es machte unglaublich viel Spaß, mit Evelyn zu arbeiten - tief beeindruckend", strahlt Björk. Denn bemerkenswert ist an der 31jährigen Schottin nicht nur, daß sie in der ganzen klassischen Musikwelt der erste Voll-Profi der Perkussion ist. Bemerkenswert ist an ihr auch die Tatsache, daß sie seit dem zwölften Lebensjahr vollkommen taub ist. Ihre Technik hat sie sich erfühlt - bei Auftritten ist sie oft barfuß, damit sie buchstäblich die Vibrationen besser spüren kann. Lippen kann sie derart subtil lesen, daß einem Engländer sogar den regionalen Akzent erkennt. "Ich besuchte sie in ihrem Haus auf dem Land, wo sie ein kleines Studio hat. Wir vertilgten Unmengen von Biscuits, tranken viel Tee und nahmen etliche Songs auf. Sie hat eine Marimba wie ein Cadillac! Wir improvisierten viel. 'My Spine' war in zehn Minuten fertig. Sie klimpert da auf einem Set von auf Hochglanz polierten Autoauspüffen herum! Aber noch mehr am Herzen liegen mir die Improvisationen, die wir mit Stimme und Marimba gemacht haben. Vielleicht erscheinen sie in irgendeiner Form zu einem späteren Zeitpunkt noch", erzählt Björk.
Nicht nur die eigentümlichen Klänge heben TELEGRAM
allerdings von der Pop-Konkurrenz ab, sondern
auch die Verpackung und die begleitenden Promo-Photos
des japanischen Fotografen Kobuyoshi
Araki. Dafür ist die multi-kulturell interessierte
Wahl-Londonerin extra nach Nippon geflogen. "Ich
habe ihn mehrere Male angefragt", sagt Björk,
"aber
sein Kommentar war schlicht 'fuck
off'. Er dachte, ich sei bloß so ein
dummer, kleiner Popstar, was ich
natürlich auch bin..." Aber zum
Schluß, als Björk ihm schrieb, sie
wolle nur von ihm, und von niemand
sonst, abgelichtet werden,
ließ sich Araki doch dazu herab, sie
ins Studio zu laden. Mehr noch: Er
brach für sie sogar seine goldene
Regel, nämlich daß er von Frauen selbst Portraits
nur dann mache, wenn sie nackt seien, denn im Entkleiden
entblättere sich auch erst das Gesicht. "Sie
braucht sich nicht auszuziehen", erklärte Araki,
nachdem er Björk kennengelernt hatte, "ihr Gesicht
ist auch so nackt und pur." Araki ist mit seinen Bildern
von Frauen, erotisierten Kochtöpfen, Stadtbildern
und Katzen in Japan zum Pop-Star geworden.
Von ihm nackt und oft in "pornographischer" Pose
fotographiert zu werden ist eine Ehre, die Warteliste
von Möchtegern-Models ist lang. Björk:
"Manchmal
habe ich das Gefühl, daß die Welt voller Feiglinge
ist. Aber Arakis Fotos sind mutig und ehrlich. Er hat
eine Fähigkeit, in allem die Magie zu sehen. Er
bringt überall eine Unschuld und Naivität hervor,
aber auch eine gewisse Unbarmherzigkeit und Grausamkeit.
Solche Gegensätze inspirieren mich." (hpk)
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