Zillo 2/94



Björk - Eine Eisprinzessin erobert Europa

Text: Sven Rösler

Fotos: ?


Als sich vor zwei Jahrne die fünfköpfige Band The Sugarcubes aus Island trennte, hätte wohl niemand damit gerechnet, daß die 150 Zentimeter große Frontfrau Björk Gudmundsdottir mit ihrem Erstlingswerk "Debut" eines der erfolgreichsten Erstlingswerke 1993 auf den Markt werfen würde.

 


Björk, 27, wurde vor fünf Jahren über Nacht berühmt. Schon damals bei den Sugarcubes sang die elfenhafte Eisprinzessin von nordischen Mythen und Kleinmädchenträumen aus ihrer Heimat.

Auf ihren insgesamt vier veröffentlichten Platten verknüpften die Sugarcubes brachialen Sound mit brachialer Sinnlichkeit.

Gerade diese Sinnlichkeit umgab Björk wie ein Charisma, welche sie zur beliebtesten Sängerin der europäischen Musikszene machte. Die Musik der Sugarcubes war schon immer mysterioös, monströs abweisend und zugleich anziehend. Und mitten in diesem packenden Lärm kam immer wieder Björks sirenenhafte Stimme zum Tragen.

Ein weiterer Vorteil für die Band war der Exotenbonus, den sie vor allem in der britischen Presse genossen.

Der exotische Lebensstil war schon irgendwie faszinierend. Sechs isländische Musiker, die in der 90.000-Einwohnerstadt Reykjavic in kleinen Wellblechhäusern lebten und dort das Hippiedasein praktizierten.

Das negative Image der Band wandelte sich aber erst 1988 in ein anderes Licht, als die Sugarcubes mit ihrer Musik nach dem Fischhandel zum zweitgrößten Exportartikel der Insel in der nordatlantischen Tiefdruckrinne avancierten. Ihr erstes Album "Life's Too Good" verkaufte sich millionenfach und nach mehreren darauffolgenden Hits konnte es sich die Band sogar leisten, verlockende Angebote der Plattenindustrie auszuschlagen.

Diese Zeit hat die "Virtuosin des schönen Schreis" (Süddeutsche Zeitung) hinter sich gelassen und ist auf eine südlicher gelegene Insel umgesiedelt. Sie ist nach London gezogen, um dort ihr Album "Debut" aufzunehmen. Ihr Vorname und ihre unverkennbare Stimme sind das einzige, was noch an ihre gemeinsame Vergangenheit mit den Sugarcubes erinnert.

"Wenn ich mir heute so überlege, was wir damals für eine Musik gemacht haben", sagt Björk heute trotzig, "könnte ich kotzen. Mit nichts von dem, was wir gespielt haben, würde ich mich identifizieren. Es hatte nicht annähernd was mit dem zu tun, was ich heute mache. Es war alles viel zu chaotisch. Wir saßen herum und haben über eine Menge Scheiße diskutiert, obwohl wir von den eigentlichen Problematiken gar keine Ahnung hatten. Genauso war es auch mit unserer Musik, es war nicht mehr kontrollierbar. 'Debut' ist wie eine Masturbation, ich spiele mit mir und meinen Gefühlen. Das ist meine Musik und keiner kann sie beeinflussen. Mittlerweile hasse ich schon Gitarrenmusik. Als ich klein war, lebte ich mit meinen Eltern in einer Hippiekommune und mußte mir den ganzen Tag Jimi Hendrix anhören. Ich muß zugeben, es hat mich angekotzt."

"Debut" scheint also auch ein Symbol für Flucht vor der insularen Enge, sowie vor dem Ruhm, Islands einzige bekannte Pop-Band zu sein. Tatsächlich ist "Debut" eine Loslösung vom typischen Sugarcubes-Sound hin zu einer perfekt produzierten Platte, die im Schritt der neuesten Pop-Trends liegt. Eine scharfe Abgrenzung zu der Sugarcubes-Vergangenheit ist deutlich zu erkennen. Im Mittelpunkt der einzelnen Songs schweben House-Grooves, jagende Techno-Rythmen, athmosphärisch wirkende Klangcollagen aus der Trance-Musik sowie deutlich erkennbare Einflüsse aus der Jazz-Musik.

"Meine Musik beinhaltet von allem etwa. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, ob ich damit im Trend liege. Sollten meine Songs nicht in Mode sein, muß ich so ehrgeizig sein und meine eigene Mode kreiren. Trends sind da, um immer wieder neu erfunden zu werden. Wenn ich komponiere, lass ich mich immer von meinen widersprüchlichen extremen Stimmungen treiben. Die englische Dancefloor-Szene hat mich schon immer fasziniert. Trance- und House ist völlig zukunftsorientierte Musik und ich schätze, daß sie sich durchsetzen wird. Ich könnte meine Gefühle nirgends besser zum Ausdruck bringen."

Für den größten Bestandteil ihrer Sounds ist Björk um die halbe Welt gereist. In Los Angeles nahm sie die Harfenklänge der 80-jährigen Harfinistin Corky Hale auf, in New Jersey besorgte sie sich ein jazziges Saxophon-Arrangement und aus Bombay brachte sie indische Streicher mit nach London. Das berühmte New Yorker "World Saxophone Quartett" war für die Bläsereinsätze verantwortlich. In einem kleinen Londoner Musikstudio setzte dan Björk die von ihr gesammelten Bausteine mit Hilfe von Computern zu Songs zusammen. Unterstützt wurde sie außerdem von dem britischen Discjockey Andy Weatherhall, der die Klangstücke im Studio mit diversen kuriosen Geräuschen zusammenmixte.

Doch hat sich Björk mit "Debut" in Dimensionen katapultiert, die sie mit großer Sicherheit nicht ohne ihren Produzenten Nellee Hooper erreicht hätte. Hooper, früher Soul-II-Soul-Produzent, verlieh dem Album den richtigen Groove. Er hatte an allen elf Songs mit Björk im Teamwork zusammen gearbeitet.

Björk: "Das Album würde ohne Mitwirken von Nellee Hooper mit großer Sicherheit völlig anders klingen, obwohl die Songs schon alle geschrieben waren als ich noch in Island lebte. Ich habe Nellee auf einer Party in London kennengelernt und er erzählte mir, daß er von meiner Stimme fasziniert sei. Ich fragte ihn dann, ob er nicht Lust hätte mit mir ins Studio zu gehen, um einige Arrangements auszuprobieren. Die Zusammenarbeit entwickelte sich dann zu so etwas wie einem magischen Spiel, das uns beide völlig fesselte und uns den Willen gab, etwas Außergewöhnliches zu kreieren. Für die Texte und die Msuk bin ich jedoch allein zuständig."

Die Wurzeln ihrer kreativen Freiheit sind, so Björk, ausschließlich in ihrer eigenen Erziehung zu suchen.

"Meine Eltern haben mich sehr antireaktionär erzogen", resümiert sie, "ich bin schon mit vierzehn von zuhause ausgezogen, auf keinen Fall weil ich ärger mit meinen Eltern hatte, ikm Gegenteil. Ich hatte einfach einen wahnsinnigen Freiheitsdrang. Es war für mich sehr wichtig, diesen Durst nach etwas Neuem zu löschen. Ich habe einen siebenjährigen Sohn und ich habe die Verantwortung für ihn. In Island ist das ganz neormal. Ich denke, daß es für beide Seiten ein guter Kompromiß ist, daß er eine hervorragende Schule besucht und ich meine Karriere vorantreiben kann."

Doch ihre Unbeschwertheit scheint nun doch etwas vorgetäuscht zu sein, denn auf die Frage, ob London ihre neue Heimat sei, reagiert sie sehr verunsichert und zögert bevor sie mit einem traurigen Gesichtsausdruck antwortet: "Als mein Sohn und ich unseren Wohnsitz nach London verlegten, war mir sehr mulmig. Hier habe ich jedoch die Chance, mein Leben in die richtige Bahn zu lenken, was dringend notwendig geworden ist. Die Großstadt inspiriert mich sehr und die technichen Vielfältigkeiten, die ich mir hier zu nutze machen kann, sind eine große Hilfe. Island wird jedoch immer meine wirkliche Heimat bleiben. Ich werde mit Sicherheit die kleinen Inseln im Eismeer mit den Geysiren und seinen Fischen vermissen. Da ich aber eine starke Persönlichkeit besitze, werde ich auch in London nicht meine wahre Identität verlieren und immer eine Isländerin bleiben."

Auch die Presse hat Björk schon zur größten Pop-Hoffnung des 21. Jahrhunderts erkoren. Sie selbst sieht sich dadurch jedoch keinem größeren Druck ausgesetzt und glaubt auch nicht, daß sie sich durch irgend etwas beeinflussen lassen würde.

"Es ist die Presse, das Fernsehen und der Rundfunk, die dich zum Star machen können", bilanziert Björk und ist froh, daß sie trotz hochdotierter Angebote noch immer von einem kleinen Londoner Label vermarktet wird, "das macht meine Musik so einzigartig. Ich stehe nicht unter dem Druck, hohe Verkaufswerte zu erzielen. Meine Musik wird sich immer verkaufen, auch wenn ich irgendwann einmal reine Hausfrauenmusik mache, und genau das weiß auch meine Plattenfirma zu schätzen."

Und was wünscht sich die Eisprinzessin für die Zukunft?

Björk: "Ich möchte, daß auch mein nächstes Album wieder so persönlich wird wie 'Debut'. Ich möchte Songs schreiben, die etwas mit dem täglichen Leben zu tun haben. Meine Lieder sollen realistisch sein und nicht irgendwelche Illusionen vorgaukeln. Musik ist für mich genauso lebenswichtig wie Sex. Ich höre sehr viel und gern Musik, als Folge kommt sie dann aus mir heraus und ich bin mir dann auch nicht mehr bewußt, welchen Stil ich gerade habe. Mein Musikgeschmack ist so vielseitig, daß sich bei mir einfach alles vermischt. Ein großer Traum für meine Zukunft wäre noch eine Welt-Tournee."