Experimentelle Ökonomie hat mit ihrer publikumswirksamsten Ausprägung, dem Political Stock Market (PSM), in letzter Zeit Aufmerksamkeit erregt. Die beiden letzten Amerikanischen Präsidentschaftswahlen (vgl. Forsythe et al., 1992, S. 1142ff. und Smith/Williams, 1992, S. 120) sind gut dokumentierte Beispiele. In Deutschland und Österreich wurden jüngst ebenfalls Projekte organisiert, die auf die Bundestagswahlen 1994 (Spiegel, 1994, S. 66) bzw. Nationalratswahlen 1994 und die anschließende Regierungsbildung (Austrian PSM an der TU Wien/Uni Wien) abzielen. Motivation für das österreichische Projekt war die erstaunliche Prognosekraft des PSM im Vergleich zu repräsentativen Umfragen in den USA und die Integration von Experimental Economics in das Lehrprogramm des Instituts.
In diesem Beitrag wird zunächst auf Methodik und Abwicklung des PSM eingegangen und in Anlehnung an die Entscheidungstheorie ein Markt unter Unsicherheit, ein Markt unter Risiko sowie ein prädeterminierter Markt identifiziert und diskutiert. Anschließend wird in einem kurzen Überblick ein Vergleich des PSM zu den Konzepten Repräsentative Umfrage (polls), Delphi und Glücksspiele (Wette, Buchmacherquote) gegeben.
Auf einem Primärmarkt werden Aktienbündel (Basisportfolios bestehen aus allen Aktien eines Marktes) zu einem festen Preis emittiert, anschließend werden auf einem Sekundärmarkt einzelne Aktien zwischen den Marktteilnehmern gehandelt. Die eigentlichen (interessanten) Marktaktivitäten spielen sich ausschließlich am Sekundärmarkt ab. Der Primärmarkt hat nur die Aufgabe, Aktienbündel (basic portfolios) in Umlauf zu bringen. Da sich die ausgegebenen "Papiere" auf einen sehr abstrakten Gegenstand beziehen, ist der Vergleich mit Optionen auf Kursentwicklungen eines Index (DAX, ATX, etc.) oder einer Währung wahrscheinlich treffender, dennoch hat sich die Bezeichnung Aktie (stock) durchgesetzt.
Ein PSM ist weitgehend an übliche Aktienmärkte (Fließhandel) angelehnt. Der Wert der Aktien wird vom Stimmanteil, der bei der Wahl erreicht wird, bestimmt (Stimmanteilsmarkt). Neben der Modellierung als Stimmanteilsmarkt ist auch die Modellierung als Regierungsformmarkt (Alleinregierungen, diverse mögliche Koalitionsszenarien) mit 0/1 Realisationen möglich.
Für einen Händler besteht die Möglichkeit limitierte Kaufs/Verkaufsorders (limitiert bezüglich Preis, Menge und Laufzeit) abzugeben, sowie zu den momentan günstigsten An/Verkaufskursen sofort (unlimitiert) zu kaufen bzw. zu verkaufen.
Die Hauptmotivation zum Handeln am PSM entsteht dadurch, daß jeder Händler individuelle Vorstellungen (Informationen) über den Ausgang einer Wahl hat und über den PSM die Möglichkeit besteht, diese Informationen (Informationsvorsprünge) durch einen Arbitrageprozeß in Renditen umzusetzen. Jedem Teilnehmer bleibt es überlassen, sich durch die Suche nach besseren Informationen bessere Ausgangspositionen zu sichern. Die Motivation ist somit dieselbe wie auf Aktien- oder Optionsmärkten. Wer glaubt, überlegene Prognosefähigkeiten zu haben, wird versuchen Arbitragegewinne zu realisieren.
Gehandelt wird bis zur Wahl bzw. zur Verlautbarung des Ergebnisses. Nach der Wahl wird das Konto üblicherweise abgerechnet und die Aktien zum Kurswert (Stimmanteil bei der Wahl multipliziert mit dem Bündelpreis) zurückgekauft. Es besteht aber kein Grund den Markt aufzulösen; theoretisch kann bis zur nächsten Wahl und darüberhinaus weitergehandelt werden. Das dabei neue Parteien am Kurszettel auftauchen bzw. verschwinden ist kein Hindernis.
Je nach seiner Fähigkeit Marktsignale zu interpretieren, wird der einzelne Marktteilnehmer einen Gewinn oder Verlust realisieren. Wer nur basic portfolios kauft/verkauft und nicht am Sekundärmarkt handelt, macht weder Verlust noch Gewinn, er bekommt das ursprüngliche Investment wieder zurück. Jeder Teilnehmer kann übrigends zu jedem Zeitpunkt beliebig viele basic portfolios zum festgelegten Bündelpreis kaufen und auch wieder verkaufen. Da das Design technisch gesehen ein sogenanntes Nullsummenspiel ist und üblicherweise keine Transaktionskosten oder Spesen vom Marktmanagment einbehalten werden (vollcomputerisierter Markt, wissenschaftliches Experiment), fließt das ganze einbezahlte Marktvolumen letztlich wieder an die Marktteilnehmer zurück.
Ist z.B. Teilnehmer A zum Zeitpunkt t der Meinung die Partei X wird bei der Wahl 25% der Stimmen erreichen (das bedeutet, daß für ein Stück der Aktie X unmittelbar nach der Wahl 0.25 * öS 10 (Bündelpreis) = öS 2.5 erzielt werden kann), so wird er versuchen, solche Aktien billiger als um öS 2.5 zu erwerben. Ein anderer Teilnehmer, B, der über andere Informationen/Vorstellungen etc. verfügt und nur mit 20% für die Partei X rechnet, wird versuchen die Aktien (sofern er welche besitzt) um mehr als öS 2.0 zu verkaufen. Es kommt also zu einem Handel. Der dabei ermittelte Kurs (siehe unten) steht natürlich allen anderen Marktteilnehmern sofort als Information zur Verfügung und löst vielleicht andere Aktionen aus. Selbstverständlich können A und B sich sofort wieder in den Handel am Sekundärmarkt einschalten. Am Wahltag stellt sich dann heraus wer die besseren Einschätzungen/Informationen hatte, denn das Resultat für die Partei X legt den Kurs fest, zu dem die Aktien wieder zurückgekauft werden können (z.B. 24.2% öS 2.42 ).
Jeder Teilnehmer kann sich zurückziehen (seine Aktien verkaufen bzw. einfach nicht handeln), wenn er keine Möglichkeit zur Realisierung von Arbitrage-Effekten sieht bzw. sich sofort wieder engagieren, wenn er glaubt Arbitrage-Effekte ausnutzen zu können. Es kommt also zu permanenten Einzahlungen und Auszahlungen bzw. Realisierungen von Gewinnen oder Verlusten während der Periode und nicht zur Aufteilung eines "Pott´s" oder Auszahlung einer Quote nach Verkündigung des Wahlergebnisses (siehe Abschnitt 3).
Von besonderem Interesse ist, daß keineswegs irgendwelche Vorstellungen über die Zusammensetzung oder eine Auswahl der Teilnehmer notwendig sind. Es interessieren nicht, wie die Marktteilnehmer am Wahltag wählen (ihre persönlichen Präferenzen), sondern ihre Einschätzung, wie die Wahl ausgehen wird! Es ist daher nicht notwendig Rücksicht auf eine repräsentative Zusammensetzung der Marktteilnehmer zu nehmen, wie dies bei Umfragen unumgänglich ist. Kriterien für eine gute Prognose mittels des PSM sind unbedingte Freiwilligkeit der Teilnahme und eine genügende Anzahl von Marktteilnehmern. Was aber eine genügende Anzahl von Marktteilnehmern ist, darüber können keine generellen Aussagen gemacht werden. Aus den bisherigen Erfahrungen weiß man jedoch, daß die Zahl erstaunlich klein sein kann.
Beim PSM handelt sich um einen mittels Computer administrierten double auction market. Er wurde im wesentlichen von Bob Forsythe (University of Iowa/USA) gestaltet und bereits mehrmals erfolgreich eingesetzt. Im unten beschriebenen Beispiel des APSM wird eine von Forsythe zur Verfügung gestellte und speziell adaptierte Software verwendet. Der dazu an der Abt. IBWL der TU Wien eingerichtete experimentelle Markt lief auf einem handelsüblichen LAN (ein Novell-Server, ein 486er als Marktrechner, ein weiterer als Internet-Server), das entweder direkt aus den anderen LANs am Campus oder via Internet durch eine Telnet Verbindung erreichbar war.
Für jede handelbare Aktie werden zwei Listen (queues) geführt. Eine enthält die Kaufanbote (bids), die andere die Verkaufsanbote (asks), jeweils sortiert nach den Preisen. Für jedes Anbot werden Informationen zur Identifikation des Händlers, das Datum/die Zeit, die gewünschte Menge und eine Gültigkeitsdauer gespeichert. Von Händlern neu abgegebene bids und asks werden ihrem Preis entsprechend immer sofort in die jeweilige Liste richtig eingeordnet. Das niedrigste Verkaufsangebot (ask) sowie das höchste Kaufangebot (bid) können auf diese Weise einfach gegenübergestellt werden. Tritt nun der Fall ein, daß sich ein bid und ein ask überschneiden, d.h. Kaufpreis Verkaufspreis, kommt es zu einer Transaktion. Eine Aktie wechselt den Besitzer und die jeweiligen Aufträge werden aus den Listen gelöscht. Aus Konvention wird immer der Preis des älteren Angebotes als Transaktionspreis (Kassakurs) verwendet.
Da Händler die Möglichkeit haben schon vorhandene bids und asks zu akzeptieren (Kauf/Verkauf zum momentanen Marktpreis) oder neue abzugeben, wobei auch Preis- und Zeitlimits verwendet werden können, und die bid und ask queues ununterbrochen miteinander verglichen werden, kommt es nicht wirklich zu Überschneidungen, sondern es werden sofort Kontrakte geschlossen. Die Anbote werden in die Listen einsortiert und etwaige Überschneidungen sofort durch die Bildung von Kontrakten eliminiert.
Die Kurse (Preise die beim Abschluß eines Kontraktes zustandekommen) können relativ leicht in Prognosen übergeführt werden, da sie die kumulierten Erwartungen der Marktteilnehmer widerspiegeln. Der Handel in einem PSM ist ein den Prozeß "Wahlentscheidung" (der Ausgang der Wahl ist kein "zufälliges" Ereignis sondern ein sozialer Prozeß/Entscheid) begleitender, kontinuierlicher Prozeß, in dem nach und nach mehr Information integriert wird. Änderungen in der realen Umwelt schlagen sich daher sofort in den Kursen nieder, die so Spiegelbild der Informationen und der Sachlage werden. Dieses adaptive Verhalten der Kurse (= Zwischenergebnisse) erlaubt im Verein mit der Möglichkeit unmittelbar aus dem Kurs (oder anderen Informationen) Konsequenzen ziehen zu können (Fließhandel am Sekundärmarkt börsenüblich von Mo. 9.00 bis Fr. 15.00 rund um die Uhr). Das grenzt grundsätzlich (Political) Stock Markets von allen Glücksspielen (siehe später) ab. Durch den Sekundärmarkt erfolgt eine permanente Realisierung von Handelsarbitragen, die jederzeit abgerechnet werden können bzw. gutgeschrieben werden und nicht die Auszahlung einer Quote oder Verteilung eines Jackpots o.ä..
Theoretisch sollte die Börsenkapitalisierung das über die emittierten Portefeuilles zugeflossene Nominale nicht übersteigen können. Tatsächlich überhitzen sich die Kurse öfter und der zum Kassakurs bewertete Markt übersteigt das zugeflossene Nominale. In solchen Situationen wird deutlich, daß es nicht um das Erraten eines Wahlergebnisses für den Einzelnen geht sondern um die Kursbewegungen als solche. Wie auf einer Aktienbörse ist dann niemand wirklich am Anteil des Vermögens der Unternehmung interessiert den eine Aktie verbürgt, sondern an den Kursbewegungen und Ausschüttungen. Wegen der Kürze der Laufzeit sind im PSM üblicherweise während der Laufzeit keine periodischen Ausschüttungen geplant. Es erfolgt nur eine Ausschüttung und zwar nach der Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses. Aber auch dies ist nicht zwingend - der Markt kann ohne weiteres bis zur nächsten Wahl offengehalten werden.
Um erfolgreich zu sein, ist niemand auf die Ausschüttung am Ende der Laufzeit angewiesen. Es ist durchaus denkbar, daß jemand nur an den Kursbewegungen interessiert ist und sowenig wie möglich Aktien am Wahltag halten will oder überhaupt keine Aktie mehr hält. Ein derartiger Markteilnehmer agiert eher als Händler. Er handelt nach der alten Börsenweisheit buy low - sell high oder versucht es zumindest und trägt so zum Bewertungsprozeß bei. Je mehr aktive Händler am Prozeß beteiligt sind, desto effizienter die Bewertung. Die Volatilität der Aktien sinkt mit dem Näherkommen des Wahltages. Natürlich ist auch die Einführung eines Optionshandel am PSM möglich.
1988 wurde für die damaligen US-Präsidentschaftswahlen an der University of Iowa ein PSM ins Leben gerufen (vgl. Forsythe et al., 1991a, S. 1ff.). Es wurden Aktien auf George Bush, Michael Dukakis, Jesse Jackson und "Andere" gehandelt. Insgesamt nahmen 192 Personen teil, die im Durchschnitt 25 US$ investierten; ein basic portfolio kostete damals US$ 2.5. Eine demographische Untersuchung der Teilnehmer (der Großteil waren Studenten) ergab, daß 71% männlich, 93% weiß, 33% mindestens den Collegeabschluß und über 70% in der mittleren und oberen Einkommenskategorie waren. Der Markt war ca. 6 Monate geöffnet, wobei die Handelsaktivitäten in den letzten Wochen vor der Wahl deutlich anstiegen. Am Tag vor der Wahl lagen die Kurse für Bush und Dukakis bei umgerechnet 53.2% bzw. 45.2%. Am Wahltag wurden für Bush 53.2% und für Dukakis 45.4% der Stimmen abgegeben. Der PSM spiegelte daher die Wahlentscheidung überraschend genau wider und konnte den Wahlausgang deutlich besser prognostizieren als alle von Zeitungen und Meinungsforschungsinstituten durchgeführten Befragungen. Jack Wright (Forrest, 1992), Professor für Politikwissenschaften, meinte dazu: "The critical difference between markets and polls is that people are not trading on the basis of their preferences. They´re trading on their beliefs about who´s going to win and by what margin."
Die Initiatoren des IPSM hoben in ihrer Analyse besonders die marginal traders hervor. Es war dies eine kleine Gruppe von ungefähr 10% der Teilnehmer, die besonders intensiv handelte und daher maßgeblich für die Kursbildung verantwortlich war. Unter dieser Gruppe fanden sich auch jene Marktteilnehmer, die die beste Performace aufwiesen bzw. die höchsten Gewinne realisieren konnten.
Die guten Ergebnisse des ersten IPSM wurden auch bei der Bush-Clinton-Perot Wahl bestätigt.
Der APSM umfaßte zwei Märkte. Der erste Markt (Nationalratswahlen) stellt auf die Stimmanteile der einzelnen Parteien bei den Nationalratswahlen ab, der andere (Regierungsform) auf die Form der zukünftigen Regierung. Ein dritter Markt, der die EU-Abstimmung zum Gegenstand hatte, wurde als Testmarkt verwendeten.
Am österreichischen Markt für die Nationalratswahlen 1994 wurden Aktienbündel (basic portfolios), die sich aus je einem Stück aller Aktien des Marktes (jeweils 1 Stück SPÖ, ÖVP, FPÖ, GRÜNE, LF und Andere) zusammensetzen, am Primärmarkt zum Fixpreis von öS 10 gehandelt. Zwischen den Teilnehmern wurden dann die einzelnen Aktien gehandelt (Sekundärmarkt). Es kam der PSM-übliche Bewertungsmodus (Stimmanteil * Bündelpreis plus nicht veranlagte Mittel, ohne Abzug irgendwelcher Transaktionskosten oder Bearbeitungsspesen) zur Anwendung.
Im Markt Regierungsform kam natürlich zum Tragen, daß nur eine einzige Regierungsform verwirklicht werden konnte. Die Abrechnung der Konten erfolgte, nach erfolgter Regierungsbildung (Angelobung). Für die Aktie der realisierten Regierungsform wurden öS 10 bezahlt, für alle übrigen öS 0. Es existierten Aktien für folgende vordefinierte Szenarios: Alleinregierung der SPÖ, Alleinregierung der ÖVP, Große Koalition (SPÖ mit ÖVP), kleine Koalition unter Führung der SPÖ ohne Beteiligung der ÖVP, kleine Koalition unter Führung der ÖVP ohne Beteiligung der SPÖ und "Andere" Konstellationen.
Die Märkte wurden je Teilnehmer mit insgesamt öS 100 Untergrenze und öS 3.000 Obergrenze limitiert.
Zur Vorbereitung des APSM wurde in einem Praktikum mit Studenten die EU-Abstimmung bestritten. Ziel dieser Bemühungen war es, erstens die Anlagen technisch zu testen und zweitens die Robustheit des Instrumentes PSM unter besonders ungünstigen Umständen zu testen. Diese ungünstigen Umstände bestanden einmal in der Limitierung auf die sehr niedere Teilnehmerzahl. Aus einer Gruppe von ca. 60 Studenten meldeten sich nach einer Einführung über Experimental Economics und ca. einer Woche Bedenkzeit 37 freiwillig. Die zweite Limitierung war jene auf ein Budget von öS 100 je Student (=Konto). Erst drei Tage vor der Wahl wurde noch ein Kredit von öS 100 je Konto eingeräumt. Die Gruppe war extrem homogen was Alter und regionale Herkunft betraf. Außerdem waren alle Teilnehmer aus der gleichen Studienrichtung. Der Handel war zunächst nur am Institut möglich, der Internetzugang wurde erst sehr spät realisiert.
Im Testmarkt für die EU-Abstimmung schwankten die Werte für einen Beitritt Österreichs zwischen 60% und 53%; sie waren somit immer deutlich über 50% und den meisten damals in den Medien publizierten Umfragen. Der Schlußkurs am Freitag vor der Abstimmung lag bei 54% für Ja und 46% für Nein. Die Volksabstimmung endete wie bekannt mit 66,4% Ja und 33,6% Nein Stimmen. Damit wich der PSM leider unerwartet stark vom Endergebnis ab, lag aber genau bei dem für diese Altersgruppe im nachhinein ermittelten Wahlverhalten (die unter 30-jährigen wählten zu 55% Ja, zu 45% Nein). Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß doch schichtspezifische Perzeption und Verarbeitung von Informationen vorlag (siehe später)!
Die in den Zeitungen publizierten Umfragewerte lagen bis zwei Tage vor der Wahl wesentlich schlechter als der APSM Testmarkt. Nach der Abstimmung wurde von Umfragen berichtet, die zwei Tage vor der Abstimmung gemacht wurden und die Ergebnisse bis zu 60% und darüber signalisierten. Diese Ergebnisse wurden nicht publiziert, da niemand so recht daran glauben wollte.
Der EU Markt war der Markt mit geringstem verwertbaren Vorwissen und ist in Anlehnung an die Entscheidungstheorie als "Markt unter Ungewissheit" zu bezeichnen.
Unmittelbar nach Marktöffnung und der "Emission" der ersten Basisportefeuilles begann der Handel mit folgenden Preisen: SPÖ 3.73, ÖVP 2.81, FPÖ 1.85, Grüne 0.8, LF 0.51 und Andere 0.41. Eine anonyme Umfrage (poll) unter den Studenten im April 1994 ergab folgendes Ergebnis: 14% wollten SPÖ wählen, 31% ÖVP, 0% FPÖ, 24% Grüne, 31% Liberales Forum und 0% Andere. Befragt nach dem Ausgang der Nationalratswahl wurde wie folgt geantwortet: 36% SPÖ, 29% ÖVP, 19% FPÖ, 8% Grüne, 5% Liberales Forum und 3% Andere.
Der Preis für die SPÖ Aktien erreichte im Juli und September einen Höchststand von öS 4.0 (= 40%), fiel aber am Ende auf einen Tiefststand von öS 3.7. Kurioserweise liegt jedoch ein möglicher Wert von öS 3,6 bzw. 36% für die SPÖ aus der Umfrage außerhalb der gehandelten Bandbreite. Bei allen anderen Parteien lag der "poll-Wert" aus der Händlerumfrage auch im gehandelten Band. Eine Erklärung könnte sein, daß die Umfrage nicht ernst genommen wurde oder ein "wishful thinking" durchschlug.
Das Chart für die ÖVP zeigt ein ähnliches Bild, zuerst ein Ansteigen auf öS 3.0 danach ein Abfall auf öS 2.72. Fast erwartungsgemäß trat die größte Schwankungsbreite bei den FPÖ Aktien auf. Ein erstes Maximum trat im Mai auf, danach fielen die Kurse im Sommer - wie auch in den meisten Umfragen - wieder ab. In den letzten zwei Wochen vor der Wahl, kam es jedoch wieder zu signifikanten Kursgewinnen. Die Aktien der Grünen starteten im Frühjahr bei ca. öS 0.8, fielen später aber bis auf ca. öS 0.6 zurück. Nach dem letzten (dem großen) "Runden Tisch" begannen die Kurse wieder zu steigen und erreichten unmittelbar vor der Wahl wieder ihr Ausgangsniveau. Das LF stellten die preisstabilste Aktien des Marktes. Nur in den allerletzten Tagen mußte ein Kurseinbruch, ohne offensichtlichen Grund, beobachtet werden.
Hier ein Vergleich des APSM Ergenisses mit einigen Umfagen:
Ergebnis (amtlich) |
APSM: 8.10.94 |
d | OGM: 8.10.94 | d | Gallup: 6.10.94 |
d | ISMA: | d | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
SPÖ | 34,92 | 37,0 | 2,08 | 38- | 3,08 | 37,6 | 2,68 | 39 | 4,08 |
ÖVP | 27,67 | 27,2 | 0,47 | -26 | 1,67 | 26,8 | 0,87 | 27 | 0,67 |
FPÖ | 22,50 | 21,2 | 1,30 | 22 | 0,50 | 20,6 | 1,90 | 20 | 2,50 |
Grüne | 7,31 | 8,0 | 0,69 | 8- | 0,69 | 7,2 | 0,11 | 7 | 0,31 |
LF | 5,97 | 4,0 | 1,97 | 4-5 | 1,47 | 4,3 | 1,67 | 4 | 1,97 |
Andere | 1,63 | 2,2 | --- | --- | --- | ||||
TE | 6,51 | 7,41 | 7,23 | 9,53 | |||||
MAE | 1,302 | 1,482 | 1,446 | 1,906 | |||||
RSME | 1,456 | 1,741 | 1,694 | 2,338 |
Die PSM Ergebnisse dieses Marktes waren also deutlich besser als die der poll's. Daß dies nicht schon beim EU Markt deutlich war - berücksichtigt man auch die nicht veröffentlichten poll's - lag möglicherweise auch an dem Umstand, daß gegenüber den mehr oder weniger freiwilligen Teilnehmern des EU Marktes im Laufe der Zeit noch sieben "self selected trader" (SST) hinzukamen. SST erfüllen das Kriterium der Freiwilligkeit und der interessierten Teilnahme natürlich in besonders hohem Maße und führen so zu Qualitätsverbesserungen.
Beim Markt für die Stimmenanteile der Parteien lag relativ viel verwertbares Vorwissen (Erfahrung) vor - sieht man von der Kandidatur einer neuen Partei (Liberales Forum) bei Bundeswahlen ab. Dieser Markttyp kann daher als "Markt unter Risiko" bezeichnet werden.
Der Markt, der sich mit der Form der zukünftigen Regierung beschäftigte und bis zur Angelobung der neuen Regierung Ende November geöffnet blieb, zeigte eindeutige Präferenzen für die Große Koalition. Diese Aktien wurden die ganze Zeit über bei Preisen über öS 9 (=90%) gehandelt. Insbesonders deutlich war die Bewegung unmittelbar nach der EU Abstimmung als der Vorsitzende der SPÖ und und der Obmann der ÖVP gemeinsam öffentlich erklärten, nach der Nationalratswahl jedenfalls und ohne "wenn und aber" eine große Koalition bilden zu wollen. Der Kurs für die große Koalition war im Anschluß an diese Erklärung zeitweise beliebig nahe am Wert öS 10. Der Markt war nahezu tot. Ein zweites Mal waren stärkere Bewegungen zu bemerken als kurz vor den Nationalratswahlen Gerüchte über eine mögliche ÖVP-FPÖ Koalition in den Medien transportiert wurden. Ansonsten wurde der Handel nur hin und wieder durch einige spekulative Geschäfte mit (sehr billigen) Aktien der "Außenseiterszenarien" (z.B. Alleinregierungen) belebt.
Speziell am Regierungsformmarkt lag die Summe aller Aktienwerte einige Male über 100%. Die Möglichkeiten zu risikolosen Arbitragegewinnen wurde auch von einigen Teilnehmern genützt.
Infolge der allgemeinen Einschätzung und der Festlegung von Kanzler und Vizekanzler stand viel Vorwissen zur Verfügung. Das Restrisiko beschränkte sich auf die Glaubwürdigkeit von Aussagen und Gerüchten. Dieser Markt kann daher als stark "prädeterminierter Markt" bezeichnet werden.
Der PSM konkurriert einerseits direkt mit repräsentativen Umfragen (polls), wird jedoch andererseits oft mit Glücksspielen (Wetten, Buchmacherei) oder Delphi verglichen. Nachfolgend geben wir eine vergleichende Auflistung wichtiger Merkmale der einzelnen Konzepte.
Insgesamt war das Ergebnis im Vergleich zu den polls nicht nur achtbar, sondern sogar ausgezeichnet. Offene Fragen im Zusammenhang mit dem PSM betreffen die "Mächtigkeit" des Marktes. Es ist nicht klar, ab welcher Zahl von Marktteilnehmern gute Ergebnisse, d.h. bessere als die repräsentativer Umfragen, erzielt werden. Interessante Ergebnisse werden schichtspezifisch organisierte Parallelmärkte über schichtspezifisches Perzeptionsverhalten von Information liefern können oder zeigen, ob die Selektion durch das Marktkriterium (alleinig relevanter Performanceindikator Gewinnerzielung) bereits hinreichend ist. Auch hat sich gezeigt, daß das verwertbare Vorwissen für das Agieren auf den einzelnen Märkten und für die Qualität der Ergebnisse von großer Bedeutung zu sein scheint.
Die Erfahrungen mit dem EU-Testmarkt haben jedoch auch gezeigt, daß es ganz wesentlich für das Design von experimentellen Stock Markets (wie z.B. PSM) sein dürfte, die Märkte für alle Teilnahmewilligen zu öffnen (self selected traders). Insbesondere darf keine Limitierung der Teilnehmerzahl oder Auswahl von Teilnehmern stattfinden. Nur so wird gewährleistet, daß der, für die Güte des Ergebnisses so wichtige intensive Handel zustande kommt. Dies könnte auch über eine Erweiterung des Designs auf Optionen unterstützt werden.
Abschließend sei noch bemerkt, daß die zukünftige Anwendung experimenteller Märkte auf industrielle Fragestellungen besonders betrachtenswert ist (Umsatzprognosen, Marktanteilsprognosen, BIP, Inflation, Arbeitslosenrate, etc.).
Forrest, N., Iowa Political Stock Market, Datei "about.txt" zugänglich über Internet (Schlagwort IPSM), Februar 1992
Forsythe, R., N. Forrest, G. Neumann, J. Wright, The Iowa Presidential Stock Market - A Field Experiment, in: Research in Experimental Economics, Vol.4 (1991a), S. 1-43
Forsythe, R., N. Forrest, G. Neumann, J. Wright, Forecasting Elections: A Market Alternative to Polls, in: Thomas R. Palfrey, Contemporary Laboratory Experiments in Political Economy, Ann Arbor: University of Michigan Press, 1991b, S. 69-111
Forsythe, R., N. Forrest, G. R. Neumann, J. Wright, Anatomy of an Experimental Political Stock Market, in: The American Economic Review, December 1992, S. 1142-1161
Ortner, G., Geld gegen Meinung, iX Multitasking Multiuser Magazin, Oktober 1994, S. 128-131
Ortner, G., A. Stepan, J. Zechner, Political Stock Markets - The Austrian Experience, ESA - Fall Meetings; 12-13 November 1994, Tucson/Arizona
Smith, V. L., A. W. Williams, Experimental Market Economics, in: Scientific American, December 1992, S. 116-121
Der Spiegel, Nr. 25/1994, Das Orakel von Bochum, S. 66